
Daniela Dangl
LICHTE SCHATTEN
Erzählungen
Literaturedition NĂ–, 2025
ISBN 978-3-902717-80-1
»Oft ist das Vergangene eingesperrt, wie man das mit jähzornigen Rotzlöffeln getan hat«.
Daniela Dangl: Lichte Schatten, S. 9
Mit diesem Satz steigen wir ein in den Kurzgeschichtenband von Daniela Dangl. Und genau mit diesem Satz beweist die Autorin, dass sie alles kann, was man sich von guter Literatur wĂĽnscht.
Daniela Dangl schreibt über eine Kindheit im Waldviertel. Das Aufwachsen nahe der Grenze. Das Niemandsland dahinter. Das Wenige, das es im Dorf gegeben hat und im Gegensatz dazu die prallen Geschichten der Adi, die immer in »Lesebuchsätzen« sprach, wenn sie zu Besuch kam, und die für jeden »Unsinn« (Punschkrapfen, Brause und Bussibär-Hefterl) Geld ausgab.
Ich muss jetzt ein bisschen persönlicher werden. Ich bin selbst in den 1970er-Jahren geboren. Und auch, wenn ich nicht im Waldviertel aufgewachsen bin, sondern zwischen Wien und Graz, beschlich mich beim Lesen immer wieder das Gefühl, die Ich-Erzählerin gekannt zu haben. Sie erinnert mich an meine Volksschulfreundin – die frechere von uns beiden, diejenige, die sich kein Blatt vor den Mund nahm und dabei stets im Dialekt sprach. Wie hab ich sie bewundert, meine lustige, starke Freundin, die immer eine schlagfertige Antwort parat hatte!
Denn so war das damals und so ist es auch heute noch: Wer das Leben mit Humor nimmt, kommt ein bisserl leichter durch die Welt. Depperte SprĂĽche wie »Mogst ned an hoaÂtn Banana Joe ind Haund nehma«, haben wir Mädchen wohl alle gehört. Aber nur wenige haben sich – wie in der Kurzgeschichte »Lust auf Joe« – aus der Umklammerung des Angebeteten gelöst und sind voll Vorfreude zur KĂĽhltruhe des Schwimmbads gelaufen.
Kennen Sie das Eis noch? Und erinnern Sie sich an Andre Agassis Vokuhila und sein zur Mode gewordenes Stirnband? Oder an die Kaugummiautomaten und ihre Nachfolger (diese vielen Automaten, aus denen man was rausdrehen konnte?)
Und ja, manchmal schien es mir beim Lesen, als hätte ich sogar dieselben Verwandten gehabt. Mein GroĂźonkel aus dem Weinviertel, die Uroma … sie alle sind bei der LektĂĽre wieder auferstanden.
Die Liebe der älteren Generationen floss damals nicht so ungehemmt wie heute. Die Liebe musste man zwischen den Maßregelungen herauspicken, vor allem dort, wo das Leben aus harter Arbeit bestand und es noch galt, anständig zu sein, damit die anderen nichts zum Reden hatten.
Daniela Dangls Texte haben auf heutige Teenager vielleicht eine ähnliche Wirkung, wie Renate Welschs Romane damals auf mich. Nach der »Johanna« hab ich die Oma plötzlich verstanden.
Und wenn wir jetzt schon bei der Welsch sind, von der ich immer behaupte, dass ihre BĂĽcher mein Einstieg in die Welt der Literatur waren: Ja, es braucht sie unbedingt auch heute noch, die Erinnerungen an damals. Denn wie wollen wir das Jetzt verstehen, wenn wir das FrĂĽher nicht kennen? Vor allem wenn es ums eigene Leben, die eigene Familie geht.
Es gibt bei Dangl sehr stille Kapitel. Wenn es etwa um den alten Opa geht (fĂĽr mich eines der intensivsten Kapitel ĂĽberhaupt). Aber auch vom Leben der Oma wird erzählt. Oder besser gesagt: Vom Leben der Oma, bevor sie Oma war. Das Leben der Oma wäre ein eigenes Buch wert.Â
Und dann ist da die Mutter. Die den Rotzlöffel immer in die Abstellkammer sperrt und die plötzlich selbst vom Leben ausgesperrt und zum Pflegefall wird.Â
Daniela Dangl klagt nicht an. Sie lässt genügend Raum, den wir mit unseren eigenen Empfindungen, unseren eigenen Erinnerungen füllen können.
Am Ende steht das Verzeihen. Und die Erkenntnis, dass es die Liebe sein sollte, die bleibt.
»Ich fordere keine Antworten, will keine Bilder übermalen, will meinen Helden nicht stürzen. Es ist schlimm genug, wenn die Statue wankt.«
S. 68
Rezension: mpk
erschienen in der PDF-Beilage zur Ausgabe U84-85/ Mai 2025