»Ich brauche freie Tage, um mich meinen Hirngespinsten widmen zu können«
Daniela Dangls Texte bewegen. Und sie leben von einem ur-österreichischen Sound. Dieser Tage ist ihr erster Erzählband »Lichte Schatten« in der Literaturedition Niederösterreich erschienen. Für unsere Ausschreibung zum Thema »Gschroppn, Rotzpipn und Herzbinkerl« hat sie an der HLW Horn ein Dialektliteratur-Projekt gestartet.
MORGENSCHTEAN: Deine Kurzgeschichten bestechen durch einen scharfen Blick, der ziemlich weh tun kann. Oft geht es um Kindheit, ums Aufwachsen, ums Den-Erwachsenen-Ausgeliefert-Sein. Woher nimmst du deine Ideen, und wie entstehen deine Texte?
DANIELA DANGL: Manchmal ist es ein kurzes Aufblitzen einer Erinnerung, manchmal eine Phrase, die sich plötzlich Zugang zu meinem Hirn verschafft, die sich aus einem Bereich in meinem Kopf herausgeschält hat und mich dann beschäftigt. Es sind Dialoge, die ich höre, oder Blicke, die ich irgendwann einmal gespürt habe und die ich wieder irgendwo sehe. Sehr oft geben mir die vierteljährlich festgesetzten Themen aus der Literaturzeitschrift DUM vor, in welche Richtung ich denken sollte, wenn ich einen Text schreiben und einreichen möchte. Ich brauche einen Ansporn bzw. ein Abgabedatum, sonst würde mich der (berufliche) Alltag dazu verleiten, mein Schreiben hintanzustellen. Ich brauche aber freie Tage, um mich meinen Hirngespinsten widmen zu können, denn ich bin eine Langsamschreiberin, die acht, zehn Stunden am Stück schreibt – vor allem, wenn es passiert, dass ich in meiner Geschichte versinke
MORGENSCHTEAN: Liest man deinen unlängst erschienenen Band »Lichte Schatten«“, merkt man: Da sitzt jedes Wort, da ist jeder Dialog wohl überlegt. Vor allem aber fällt auf, dass hier kein Satz zu viel ist, auch dramaturgisch sind deine Kurgeschichten gut durchdacht. Überarbeitest du deine Texte oft?
DANIELA DANGL: Meine Geschichten sind alle gut abgehangen 🙂 Ich schreibe und dann streiche ich, fange die Geschichte wieder ein, wenn sie mir zu entgleiten droht, weil sie in eine Richtung gegangen ist, die ich nicht konzipiert habe – die aber oft besser ist -, gebe die Rohfassung meinem Mann, der ein gutes Gespür für Textstellen hat, über die ich gestolpert bin. Sehr oft bekommt auch meine Mentorin die Geschichte zu lesen und kommentiert sie. Wenn ich nach dem x-ten Überarbeiten die Geschichte nicht mehr lesen mag, bin ich fertig mit ihr. Vieles, was ich schreibe, wirkt vielleicht lapidar, dahinter steckt jedoch eine bewusst gewählte Reduktion. Ich möchte mit Leerstellen arbeiten, die die Rezipientinnen und Rezipienten meiner Texte mit ihren eigenen Erfahrungen füllen sollen. Das finde ich spannend. So entstehen unzählige Geschichten, auf die ich keinen Einfluss mehr habe, und nicht nur meine.
MORGENSCHTEAN: Du bist im Waldviertel aufgewachsen, du lebst auch heute wieder dort, hast aber auch eine Zeitlang in Wien gelebt. Hat sich diese Pendelbewegung auf dein Schreiben ausgewirkt? Und hattest du diesen speziellen Ton, der ja ein sehr österreichischer ist, auch schon in deinen frühen Texten?
DANIELA DANGL: Einen eigenen Ton hatte ich bald gefunden, die Verankerung im Waldviertel ist erst in den letzten drei Jahren »passiert«, weil ich einen roten Faden für meinen Erzählband gesucht und ihn über die Sprache erschlossen habe. Die Jahre in der Großstadt gehören wie meine Kindheit am Land zu meinem Leben, haben mich geprägt, verändert – wie alle Abschnitte, Erfahrungen, Erlebnisse jemanden zu einem Menschen mit einer Geschichte machen. Ich schätze die Möglichkeiten einer Großstadt, manchmal auch die Anonymität, Heimat ist mir die Stadt nicht geworden – ich brauche den Wald, um denken zu können.
MORGENSCHTEAN: Du schreibst auch im Dialekt, seien es Kurzgeschichten oder Gedichte. Manchmal überträgst du deine Texte sogar vom Hochdeutschen in den Dialekt. Wann entscheidest du dich für welchen Ton? Und wie gehst du bei diesen »Übersetzungen« vor?
DANIELA DANGL: Ich spreche zuhause Dialekt, ich denke komplizierte Gedanken in Hochsprache. Geschichten schreiben sich wie selbstverständlich in Hochsprache, möglicherweise, weil 98 % der Texte, die ich lese, auch in Standardsprache verfasst sind. Ganz tiefe Emotionen kommen aber bei mir im Dialekt daher – deshalb sind die Dialoge in meinem Erzählband auch im Dialekt. Sie sind authentisch, rudimentär, ohne künstlich geschaffene Fassade. Aussagen können sich in meinen Dialogen nicht mehr hinter einer Form verstecken. Es sind kurze, harte Sätze. Ich bin zwischen Menschen aufgewachsen, die nicht viel reden. Dem Schweigen Worte zu geben, habe ich mir in meinen Texten zur Aufgabe gemacht.
MORGENSCHTEAN: Für die aktuelle Ausgabe hast du dich nicht nur selbst mit einem Gedicht – beworben, sondern auch deine Schüler:innen ermutigt, Texte im Dialekt einzusenden. In der Redaktion waren wir von der Qualität dieser Einreichungen überrascht, auch von der nahezu perfekten Niederschrift des Dialekts. Hattet ihr dazu ein Projekt im Unterricht?
DANIELA DANGL: Ich habe mit meinen Schülerinnen und Schülern ein bisschen Sprachgeschichte gemacht, wir haben uns Texte aus dem Althochdeutschen und dem Mittelhochdeutschen angeschaut, haben Wörter und Lautverschiebungen mit anderen Sprachen verglichen und versucht herauszufinden, welche Dialektwörter Omas und Opas noch verwenden, die nicht mehr im Sprachgebrauch der Jungen vorkommen. Wir haben uns mit Lyrik auseinandergesetzt, Reimschemata und Versfüße besprochen und versucht, herauszufinden, wie wir einen Text so verknappen können, dass nur noch die Essenz übrigbleibt. Zusätzlich arbeiteten wir mit rhetorischen Figuren. Hilfreich war vor allem die Beschäftigung mit modernen lyrischen Texten, die wir uns online angehört haben. Die Ausgabe des Dialekt-ShoG »Aber bitte mit Fahne!« (www.oeda.at/radio) war hier unser Lern-/Hörmaterial. Danach bekamen meine Schülerinnen und Schüler Zeit, über sich selbst nachzudenken und das aufzuschreiben, was sie aktuell bewegt. Sie durften sich die Texte gegenseitig vorlesen oder der gesamten Klasse. Wer seinen Text lieber privat halten wollte, musste ihn nicht vortragen. Ich war überrascht, wie klar manche ihre Emotionen in Worte fassen konnten – und wie viel Vertrauen sie uns schenkten, ihre Gefühle zu teilen. Wer wollte, schickte mir seinen Text, den ich ein bisschen lektorierte (einheitliche Niederschrift), um ihn an den Morgenschtean weiterzuleiten. Dass wir die Jury überzeugen konnten, hat uns wahnsinnig gefreut!
Hinweis: Daniela Dangl und Schüler:innen der HLW Horn lesen am 22.5. bei der Präsentation der neuen Ausgabe – um 19.00 im Café Anno in Wien
Die Texte der Schüler:innen können im Morgenschtean gelesen werden – sowohl in der Printausgabe als auch der Beilage. Ein paar Texte davon sind auch schon auf unserem Blog.
Veröffentlicht am 26.4.2025 Die Fragen hat Margarita Puntigam-Kinstner gestellt
Du bist in Zlan, am Beginn des Stockenboier Grabens aufgewachsen. Welche Sprachen haben dich geprägt? Bist du schon im Dialekt erzogen worden?
Prinzipiell hat jede Form von Sprache ihre Berechtigung. Sprache ist für alle komplexeren Tätigkeiten und Denkvorgänge des Menschen unverzichtbar. Der Mensch lebt und arbeitet in der Sprache.
Es gibt keine muttersprachliche Herleitung für mein Sprechen. Die Verkehrssprache zu Hause war gepflegte Umgangssprache. Mein Vater, der als in der Monarchie geborener Burgenländer mehrsprachig aufgewachsen ist, lernte Deutsch in der Form des heanzischen Dialekts und Ungarisch. Meine Mutter, in Leipzig geboren, sprach ursprünglich sächsisches Deutsch und musste, um in Kärnten verstanden zu werden, »nach der Schreibe« reden.
Im Gegensatz zu meinen Eltern redete ich, auch während meiner Schulzeit in Villach (bei der Matura wurde ich ermahnt, nicht im »derben« Dialekt zu sprechen), selbst noch während meines Studiums und in den Anfängen als Lehrer in Wien in breitem Dialekt. Das brachte mir in Wien als provinzieller Exot zwar eine gewisse soziale Zuwendung ein, führte im Unterricht jedoch zu Unverständnis und vielen Fragen. Oft auch zu Gelächter unter den Schülern.
Meine erste Fremdsprache ist schriftsprachliches Deutsch und mindestens genauso mangelhaft wie alle anderen Sprachlernversuche im Laufe meines Lebens.
Deine Gedichte sind sehr verdichtet und lautmalerisch, dennoch auf schonungslose Weise ehrlich. Sie erzählen von Sprachlosigkeit, Gewalt in ihren diversen Ausprägungen, vom Totschweigen und Verdrängen und davon, was plötzlich wieder hochgeschwemmt wird. Gab es ein auslösendes Erlebnis, das dich bewogen hat, dich diesen Themen zu widmen?
Ein auslösendes, singuläres Erlebnis gibt es nicht, eher lässt sich ein schmerzhafter Erkenntnisprozess in der Wirkungsweise einer griechischen Tragödie beschreiben.
Es ist das ein Gefühl einer unsagbar tiefziehenden Kälte und Einsamkeit, die ich oft als Kind und später als Jugendlicher im Dorf erlebt habe. Es ist vor allem der Aspekt einer emotionalen Ambivalenz, der mich seit meiner Jugend belastet. Da schmeichelt einerseits die idyllische Verklärung und Verkürzung intensiver Kindheitseindrücke, anderseits erschreckt und verstört die dystopische Leere und Dunkelheit einer grauenvollen Menschenferne.
Wie Viele meiner Generation stelle ich mir die Frage, warum ich nicht mehr Wissen aus unseren Eltern (Kriegsgeneration: Vater 1907, Mutter 1924 geboren) herausgeholt habe. Warum es nicht möglich war, das so beredte Schweigen formalisierter Anekdoten zu durchbrechen. Den Grund politischer Dummheit, Ängstlichkeit und Angepasstheit zu hinterfragen. Wie konnte es gelingen, ohne große sichtbare Gewalteinwirkung, Kinder so bleibend feig, dumpf und stumm, geradezu sprachlos zu halten, sie unter den »geheiligten« Schirm religiöser Rituale und frommer Sprache und der damit verbundenen sozialen Kontrolle zu stellen.
Schlug man 1989 die erste Ausgabe des »Morgenschtean« auf, war es bestimmt kein Zufall, dass man auf den ersten Seiten ausgerechnet deine Gedichte zu lesen bekam. Der »Morgenschtean« wollte immerhin den Beweis antreten, dass Dialektliteratur kritisch auf die Heimat blicken kann (ja, muss!), und das mit einer unmittelbaren Wucht, die der Hochsprache oft fehlt. Wann hast du begonnen im Dialekt zu schreiben? Und welche Bedeutung hatte dabei auch die Begegnung mit Bernhard C. Bünker für dich?
Eine prominente Platzierung. Vielleicht liegt es daran, dass Bernhard C. Bünker, mit dem ich befreundet war, der mich zum Schreiben in Dialekt anregte und den ich mitunter als meinen literarischen Mentor betrachte, meine Gedichte als publikationswürdig fand. Er hat auch 1992 den Klappentext zu »a meada is aa lei a mensch«, meinen ersten Gedichtband, verfasst.
Bünkers Einfluss bestand allgemein derart – wie Gerhard Ruiss es einmal formulierte –, dass er »für vieles und viele ein Sprungbrett geschaffen hat, das er für sich selbst nie nützen wollte.«
Mit dem »Morgenschtean« schuf Bernhard C. Bünker gemeinsam mit Manfred Chobot und Hans Haid schließlich eine regelmäßige Publikationsmöglichkeit für kritische Dialektliteratur.
Mein Schreiben im Dialekt hat vordergründig wohl auch damit zu tun, dass ich als Student im akademischen Betrieb angehalten war und daher lernen musste, in Schriftsprache zu sprechen. Mag sein, dass ich auf diese Weise einen empfundenen sprachlichen und auch einen damit verbundenen Identitätsverlust auszugleichen suchte.
Der Dialekt als Kommunikationsmittel steht immer in einem Spannungsverhältnis zwischen Fremdheit und Vertrautheit. Mein Dialekt hat zwar Kärntner Sprachwurzeln, unterliegt aber einer individuellen Verslangung, und damit einer lebendigen Veränderung. Widersetzt sich jeglicher Einhegung und »Pflege«. Der anarchische und ursprüngliche Aspekt des Dialekts hat die Kraft, jeden Sprachrahmen zu sprengen, zumindest aber in Frage zu stellen. Ein Unterbinden sprachlich-individueller Unmittelbarkeit und Authentizität hätte nur eine sprachpolizeiliche Mumifizierung zur Folge.
Obwohl du schon sehr lange in Wien lebst, schreibst du nach wie vor im Kärntner Dialekt. Wie hat sich dein Verhältnis zu Kärnten und auch zum Kärntner Dialekt nach so vielen Jahren in Wien gewandelt?
Mein Verhältnis zu Kärnten lässt sich als eher schmerzlich umschreiben, gerade auch wenn man sich die aktuelle politische Willensbekundung (Nationalratswahl 2024) vieler Kärntner Wähler und Wählerinnen vor Augen führt, die wieder einmal den nationalistischen Geist beschwören. Ganz im Sinne Bernhard C. Bünkers, der in seinen Satiren den Dichter Leposchitznig sagen lässt: »Wal ans is en jungen Hamatdichta mea und mea aufgongen, namle, doßa de Hamat nit los wean konn, dewos sich einwendig drinnen in eam onkrallt wia a Kotz«, besteht eine kritische Distanz, die sich aber nicht nur einfach mit Sympathie und/oder Antipathie beschreiben lässt. Das würde den Blickwinkel einengen und die Urteilsfähigkeit verkürzen. Das Verhältnis ist differenzierter und Ergebnis eines Entwicklungsprozesses immer in kritischer Auseinandersetzung mit der aktuellen politischen und sozialen Situation im Land. Mit dieser räumlichen, aber auch mentalen Distanz zu Kärnten habe ich gelernt, tradierte Erzählungen über die Verhältnisse in Kärnten kritisch zu sehen, zu hinterfragen und neu zu bewerten.
Fragt man nach dem Unterschied zwischen »Mundart« und »Dialekt«, vermuten viele, dass es einen sprachlichen Unterschied geben muss. Der Duden meint hingegen ganz klar: Die beiden Begriffe sind Synonyme. Und doch hat sich die Ö. D. A. bei ihrer Gründung ganz bewusst vom Begriff »Mundart« distanziert, sowie auch du großen Wert darauf legst, das Wort »Dialekt« zu verwenden. Kannst du unseren Leser:innen erklären, warum?
Die neue Begrifflichkeit diente der Abgrenzung. Unter Hervorhebung des dialogisch-diskursiven Aspekts von Sprache sollten vor allem politische und soziale Inhalte berücksichtigt werden. Im Zuge der 68er-Bewegung wird die Sprache als Herrschaftsinstrument kritisch in Frage gestellt und debattiert. Die Suche nach der eigenen Identität führt auch zur Suche nach einer persönlichen Sprache. Der Dialekt wird zur Sprache gegen das Establishment. Sprachlosigkeit und Sprachfindung, soziale Wahrnehmung und die politische Umsetzung bezeichnen dabei Variablen auf einem literarischen Feld, auf dem Lebenswelt und Sprache einander bedingen.
Zu Beginn der 70er-Jahre und in den 80er-Jahren kommt es zu einer Vernetzung und Internationalisierung der neuen kritischen Dialektdichtung. Mit der Gründung des IDI (Internationales Dialektinstitut) werden sprachliche Phänomene wie die Dialekte, Sprachen der Minderheiten und regionale Sprachen in einem gemeinsamen Projekt zusammengefasst, ohne sie untereinander und/oder gegen die Schriftsprache auszuspielen. Die Bewertung der Dialekttexte erfolgt nach ihren inhaltlichen Schwerpunkten und nach deren Authentizität.
Neben der politischen und sozialen Intention steht vor allem die Frage nach der »Verkitschung der Dialektdichtung im Sinne unrealistischer Wirklichkeitsschau, Postkartenmalerei und Heimattümelei« (Sebastian Baur). Ein besonderes Anliegen dabei ist, jene traditionalistische Mundartdichtung, die sich als Wald- und Wiesenpoesie und vor allem als nationalistische Blut- und Bodendichtung unangenehm hervortut, auf den ihr zustehenden Platz zu verweisen. In strikter Abwehr jeglicher Vereinnahmung von Rechts, gerade in Kenntnis des propagandistischen Missbrauchs der Mundart während der NS-Diktatur.
Themen und inhaltliche Schwerpunkte des kritischen Diskurses sind vor allem auch ökologische Fragen. Ursprünglich als Auseinandersetzung mit der Landschafts- und Menschenzerstörung durch den Massentourismus, über Proteste gegen die Errichtung von Atomkraftwerken bis hin zu den aktuellen Fragen der Klimaveränderung.
Besonders augenscheinlich ist die sozial-emanzipatorische Linie, die die kritische Dialektliteratur durchzieht. Sensibilität und Empathie für die sozialen Probleme kleiner Leute, Kritik an Armut, Fremden- und Frauenfeindlichkeit, menschenfeindlicher Asylpolitik, zeichnet diese Autoren und Autorinnen aus.
Nov. 2024 Fragen: Margarita Puntigam-Kinstner
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Für sein Werk wurde Axel Karner 2022 mit dem Humbert Fink Preis ausgezeichnet. Die Jury hob Karners »Meisterschaft in der sprachlichen Reduktion« hervor sowie sein Beharren darauf, »dass Literatur mehr zu sein habe als bloße Unterhaltung«.
Lyrik von Axel Karner gibt es auch in: Morgenschtean U82-83/ November 2024
»Das Mülchgschraa ist ja die eigentliche Muttersprache«
Du bist im Kärnten der 1960er-Jahre aufgewachsen. Vor ein paar Jahren bist du – nach mehreren Jahren im Ausland im Rahmen humanitärer Hilfsprojekte und schließlich in Wien – in das Haus deiner Kindheit zurückgekehrt. Wie war die Rückkehr nach Villach für dich?
Das jahrzehntelange Fernsein von meiner Heimat Kärnten hat zu einer gewissen Distanziertheit zu meinem Herkunftsland geführt, nie aber zu einer totalen Abnabelung. Dazu kamen meine Auslandsaufenthalte in einer Zeit der Umbrüche in Europa, wie dem Fall der Berliner Mauer, die Auflösung der Sowjetunion und der Jugoslawienkriege. Dadurch, dass ich die Möglichkeit hatte, politische und gesellschaftliche Veränderung von Innen wie auch Außen zu betrachten, wurde mein Schwarz-Weiß-Denken farbiger und bunter, nicht nur in Bezug auf Gesellschaft und Politik, sondern auch in Kunst und Kultur. Die Rückkehr nach Kärnten in mein Dorf im Norden der Stadt Villach ist bzw. war ja keine »Heimkehr« für immer, sondern dem Umstand geschuldet, dass meine Eltern pflegebedürftig wurden.
Du bist ein großer Fan der Dialektliteratur Bernhard C. Bünkers – du hast mehrere Bünker-Lesungen organisiert, derzeit drehst du einen Film über den Schriftsteller. Warum ausgerechnet Bünker?
Die Begegnung mit der Literatur Bünkers (bzw. der Bünkers) fand auf den Straßen Wiens, vor einem Antiquariat statt. Aus einer Bücherkiste erstand ich ein Buch mit Gedichten von Otto Bünker, dem Vater von Bernhard C. Bünker. Die Zufallsbekanntschaft mit Axel Karner war schließlich der Impuls, mich auch mit dem Sohn Otto Bünkers zu beschäftigen. Es folgten Lesungen, Diskussionen und daraus folgend die Idee, den Film »Zornige Flucht« gemeinsam mit dem Journalisten und Filmemacher Chris Haderer in Angriff zu nehmen.
Du schreibst selbst im Dialekt. Wann hast du damit begonnen – und welche Herausforderungen bringt der Dialekt beim Schreiben mit sich?
Der uns angeborene Dialekt, ich nenne ihn »Mülchgschraa«, ist ja eigentliche Muttersprache in uns. Sie entspringt dem Bauchgehirn und sitzt viel tiefer, als wir es wahrnehmen. Es ist also keine Herausforderung, im Dialekt zu schreiben, man muss es nur zulassen und einfach tun. Eine Befreiung gegenüber dem konstruierten Hochdeutsch.
Was macht für dich einen guten Dialekttext aus?
Wenn der Text vom Hirn in den Bauch und zurück fährt, ohne dass du darüber nachdenken musst. Sätze, im Dialekt geschrieben, können, ohne dass du es wahrnimmst, in dir hängenbleiben.
Von Wien bis Kärnten kennt man dich nicht nur als Autor, sondern vor allem als Literaturvermittler. Du hast unzählige Lesungen im Kunstraum »Ewigkeitsgasse« organisiert, du gestaltest Literatursendungen auf OKTO und bist auch als Radiomacher aktiv. Als Vorsitzender des Kärntner Schriftsteller:innenverbandes hast du u.a. das Projekt »flussaufwärts« ins Leben gerufen, das Literat:innen der Länder Italien, Slowenien und Österreich miteinander verbindet. Welches Erlebnis ist dir in besonderer Erinnerung geblieben?
Begonnen hat alles auf dem Slawistik-Institut in Wien Anfang der 1980er-Jahre, als ich mit der Literatur der Russischen Moderne in Berührung kam. Es folgten Jahre des Broterwerbs als Projektleiter Internationaler Hilfsprojekte, bis ich schließlich 2005 in der ehemaligen Heimatgasse des 1939 aus Wien vertriebenen Schriftstellers Frederic Morton den »Kunstraum Ewigkeitsgasse« gründete. Der Beginn einer lange Jahre andauernden Freundschaft mit dem in New York lebenden Schriftsteller Frederic Morton sowie auch eines intensiven Kontakts zu Erinnerungs- und Gedenkkultur. Dann war es die tiefe Freundschaft zu Uli Scherer, den bekannten Musiker und Komponisten, der mir den Weg zur »Wiener Gruppe« und in die Literatur der Zwischenkriegszeit (Kaffeehausliteraten) eröffnete.
Jahre der Literaturvermittlung folgten, vor allem in der Zusammenarbeit mit Zsolnay und Deuticke.
In steter Erinnerung wird mir eine Veranstaltung mit Kindern mit Migrationshintergrund bleiben, die Frederic Morton ihre Texte vorlesen und anschließend mit ihm diskutierten durften.
Dann gibt es noch das angesprochene Bildungs- und Literaturprojekt »flussaufwärts – po reki navzgor – contro corrente«, das als Impulgeber für ein globaleres Kulturverständnis im Alpe Adria Raum angelegt war und immer noch ist. Dazu gehört auch das alle zwei Jahre stattfindende Alpen-Adria-Literatursymposion des Kärntner Schriftsteller:innenverbandes, dass im Stift St. Georgen am Längsee stattfindet.
Nicht nur als Schriftsteller, auch als Übersetzter, Biograf und Literaturvermittler hast du dir stets die »unbequemen« Themen ausgesucht. Du forderst auch Kärnten heraus, seine Grenzen noch mehr zu öffnen, mehr mit den Nachbarländern in Kontakt zu treten – und das in einer Zeit, in er es wieder vermehrt Debatten um Grenzschließungen gibt.
Als Kind im Zollgrenzbezirk zwischen Italien und Österreich (Villach) aufgewachsen hat das Wort Grenze eine tiefere Bedeutung. Jeder Ausflug über die Grenze war mit Warten und Kontrolle verbunden. Dann fielen die Grenzen und ein Schild mit der Aufschrift »Bitte nicht stehenbleiben« beherrschte lange Zeit den Grenzübergang, bis die Migrationsfrage wieder alles umkehrte und man nun immer damit rechnen muss, auf den Parkplätzen innerhalb Österreichs entlang der Autobahn kontrolliert zu werden. Das stimmt traurig.
Verrätst du uns zum Schluss noch deine Lieblings-Dialektausdrücke aus Wien und auch aus Kärnten?
Wienerisch: – Hieb (Bezeichnung für Bezirk) – 16er-Blech (Bierdose mit Ottakringer Bier; Ottakring ist der16. Bezirk)
Kärntnerisch: – Tasn (Zweige bzw. Äste von Nadelbäumen) – Tschwote oder Tschriasche (tolpatschiger bzw. umständliche männliche Person) – Treappn (dümmliche weibliche Person) – Tscherfln (schlendern, schleifend gehen) – klunzen (kränkeln) – napfazn (leicht vor sich hindösen) u.s.w.
Nov. 2024 Fragen: MPK
Lyrik von Alfred Woschitz gibt es auch in: Morgenschtean U82-83/ November 2024
Du wurdest in Griffen geboren, heute lebst du im Lavanttal. Hat sich dein Sprechen durch den Ortswechsel verändert? Und wie verhält es sich in deinen Dialektgedichten? Welcher Dialekt schlägt sich hier nieder?
Im Grunde hat sich, obwohl ich im Jauntal geboren wurde, schon seit meiner bewussten Hörfähigkeit die Klangmelodie unterschiedlicher Sprachfärbungen in mein Dasein geprägt. Meine Mutter ist im sogenannten Windischen Sprachbad aufgewachsen und unterhielt sich mit meinem Vater und uns Kindern im Unterkärntner Dialekt, wie es in diesem Haus üblich war, jedoch mit ihren Geschwistern Windisch sprechend.
Die Muttersprache väterlicherseits war stark vom Lavanttaler Dialekt geprägt, da die Oma meines Vaters aus St. Paul im Lavanttal stammte. So trage ich viele alte Lavanttaler Dialektworte weiter, welche mein Vater neben dem vorwiegend gesprochenen Jauntaler Dialekt verwendete, und die mir schon seit Beginn meiner Wahrnehmung von Sprache »söltsom« im Sinne von kostbar erschienen sind. Insofern habe ich durch den Ortswechsel eine Erweiterung des Lavanttaler Sprachschatzes erfahren. Im Bezug auf meinen Unterkärnter Dialekt – den Windischen beherrsche ich ja leider nicht –
war ich jedoch in der rein Lavantaler Dialekt sprechenden Familie, in die ich eingeheiratet hatte, gefordert, mir bestimmte Begriffe wie zum Beispiel Karjola (1) zu verkneifen, um kein Gespött auf mich zu ziehen.
An meinen jüngeren Gedichten beobachte ich, dass sich mehr und mehr der Lavanttaler Dialekt in den Vordergrund drängt, zugleich jedoch bestimmte Jauntaler Ausdrücke unverzichtbar bleiben, um mein Fühlen präziser wiedergeben zu können. So gesehen würde ich meinen, im Kärntner Dialekt zu schreiben, der von der Koralpe bis zum Glockner ein vielfältiger ist, sich oft schon aus einem Tal bergwärts anders färbt und dennoch unverkennbar kärntnerisch klingt.
In deinen Dialektgedichten hat man manchmal das Gefühl, in längst vergangene Zeiten zurückzureisen, dann wieder geht es um brandaktuelle Themen. Wie findest du zu deinen Themen? Was inspiriert dich?
Zunächst bin ich euch sehr dankbar für die Themen, die mir jetzt durch den Morgenschtean zukommen und mich zum Schreiben bewegen.
Meinen Eltern verdanke ich, bestimmte Arbeitsweisen und Umstände erlebt zu haben, die eigentlich meiner Großelterngeneration zuzuschreiben wären. Am Bergbauernhof aufgewachsen und bis zum vierzigsten Lebensjahr Bäurin gewesen zu sein, selbst noch »Goarbn gebundn«, »in Kumpf einghängt, Bleicha gschepst« und »Bochmulta griebn« zu haben, ermöglicht, Erlebtes zu formulieren. Vergangenes und aktuelles Erleben beeindruckt und beschäftigt mich. Themen, die mich gefühlsmäßig erreichen, bewegen mich. Es bewegt sich in mir, verdichtet sich und drängt irgendwann nach außen. Wir sind mittendrin, ständig gefordert. Die Witterungsfolgen, die Veränderungen in Gesellschaft, Arbeitswelt und sozialem Gefüge, Beziehung, Familie, weltumspannende Verbindung und Verbindlichkeiten, Überzeugungen und Religionen, die neuen Technologien. Ich bin noch ohne Telefon in der Großfamilie aufgewachsen, nun beobachte ich den Alltag meiner erwachsenen Töchter und bin tief bewegt über die persönliche Erfahrung dreifache Großmutter zu sein. Den Tod sehr nahestehender Menschen musste ich ebenso wie alle Betroffenen irgendwann akzeptieren lernen. Leben ist »zwegnkeeim« und »fuatgeahn«. Beides verursacht Schmerzen, wenn es nah kommt, und ist gleichzeitig berührend schön. Und dazwischen sind weitere, unzählige Momente des Spürens und Fühlens, die über die Sinne wirksam werden, mir zu denken geben und Auswirkung auf mein Schreiben haben.
Was deine Dialektgedichte vereint, ist der unheimlich schöne Rhythmus deiner Lyrik, ihre Sinnlichkeit und das Lautmalerische in deiner Sprache. Damit schaffst du es, auch jene in den Bann zu ziehen, die nicht jedes Wort verstehen. Wie lange feilst du an deinen Gedichten?
Danke für die Mitteilung dieser Wahrnehmung. Das animiert zum Weiterschreiben.
Ein Großteil meiner Gedichte entspringt einfach so meinem Inneren, sozusagen naturwüchsig. Vieles fließt in einem Guss aufs Papier und wird nicht mehr bearbeitet. Manches verbraucht über zehn Seiten Papier während des Entstehens, wird am Stück geschrieben, überschrieben, es wird reingeschrieben, bis es sich fertig anfühlt. Einige Dichtungen bekommen mehrmaligen Korrekturbesuch im Laufe von Tagen oder Wochen, um vollständig zu werden. Es kommt auch vor, dass ein mir vorerst fertig erschienen gewesener Text zu einem späteren Zeitpunkt noch verändert wird. Oft ist es ein bestimmtes Wort, das noch gesucht wird, um näher ans Gefühl oder ans Bild zu kommen, es präziser zu formulieren.
Welche Texte entstehen, wenn du nicht im Dialekt schreibst?
Es sind vorwiegend Gedichte, lyrische Prosa. Einige Märchen sind entstanden. Sinnsprüche, die im alljährlichen Kalender der Kärntner Schreiberlinge oder im Landkalender des Leopold Stocker Verlags erschienen sind. In Schreibgruppen nehme ich gerne Schreibimpulse von Kolleg:innen auf. So finden Gedanken neue, unbekannte Wege – auch zu Kurzgeschichten. Poetry-Slam war bei uns Kärntner Schreiberlingen auch ein spannender Impuls, sich auf fremdes Terrain zu wagen. Ein laufendes Schreiben sind Kindheitserinnerungen, die jedoch nicht ganz ohne Dialektwörter auskommen. Zudem schreibe ich tagebuchähnlich, jedoch unregelmäßig, zu Themen, die mich im Moment beschäftigen. Zuletzt die Geburt meines dritten Enkels.
Du bist Mitbegründerin der Kärntner Schreiberlinge. Wie kam es dazu? Was bedeutet es dir allgemein, Teil einer Schreibgruppe bzw. eines Schriftsteller:innenverbandes zu sein?
Eine Freundin, Hemma Schliefnig, die sich mit dem Buch »Meine Mama hat außer Windisch nichts Deutsch können« sehr intensiv mit Muttersprache auseinandergesetzt hat, lud mich zu einer Schreibwerkstatt des Kärntner Bildungswerkes mit Anita Arneitz nach Klagenfurt ein, damit meine schlafende Schreibfreude erweckt würde. Mit Erfolg, denn seither schreibe ich wieder regelmäßig, weil mir die Sinnhaftigkeit durch die Ermunterung und Bestätigung der Gruppe gegeben wurde. Um der Trauer des Endes einer Schreibgemeinschaft zu entwischen, beschloss ein Teil dieser Gruppe, sich – unter der unbezahlbaren Präsidentin Karin Ch. Taferner – weiterhin vierzehntätig zum Schreiben, Vorlesen und Diskutieren zu treffen. Wir sind nun im 12. Jahr, haben persönliche Erweiterung im Schreiben erfahren, viele Lesungen abgehalten und gemeinsam Bücher, Kalender sowie eine CD kreiert. Zudem bringen wir jährlich einen Kalender mit Sinnsprüchen heraus. Ich schätze das Inspirierende, das durch Schreibanregungen, Rückmeldungen, Diskussionen, durch Zuhören entsteht. Ebenso den Austausch von Erlebtem und die Freundschaft, die sich inzwischen entwickelt hat.
Die Zugehörigkeit zum Kärntner Schriftsteller:innenverband ermöglicht mir Kontakt zu Literat:innen, die teilweise schon lange schreiben bzw. professionell und erfolgreich literarisch tätig sind. Mich interessiert es, wie schreibende Menschen denken. Mich inspiriert es zuzuhören. Zudem gibt es in dem Kreis die Möglichkeit, an wertvollen Weiterbildungen teilzunehmen, Kritik auf mein Schreiben zu erhaschen und es lesend an die Öffentlichkeit zu bringen.
Verrätst du uns noch dein Lieblings-Dialektwort?
rogla (2). Dieses Wort wurde oft von meinem Vater verwendet und es ist auch bezeichnend für ihn.
Im Lavanttal wird die Jauntaler Karjola zur Radltruchn, auf Hochdeutsch Scheibtruhe oder Schubkarren.
bezeichnet das zarte, vorsichtige, achtsame Tun sowie das Lockere, Leichte, Lose im Zusammenhang mit der Beschaffenheit von z.B. Erde oder Schotter oder auch z.B. die lose Verbindung eines Türriegels.
Veröffentlicht am im November.2025 Die Fragen hat Margarita Puntigam-Kinstner gestellt
Lyrik von Anna Maria Lippitz gibt es auch in: Morgenschtean U82-83/ November 2024
Du bist Vielleserin. Was macht das Lesen mit dir – was kann Literatur erreichen?
Ich lese, seit ich des Lesens kundig bin. In der Literatur eröffnet sich mir eine Quelle, die vielstimmig und vielschichtig die Rahmenbedingungen menschlicher Existenz formuliert. Literatur fördert die Kraft, Visionen zu generieren. Ebenso ermöglicht sie es marginalisierten Menschen, denen, die an den Rand gedrängt wurden, ihre Stimme zu erheben. Unverzichtbar ist die Wahrnehmung der Zeitzeugen, sie bildet die Gegenstimme zur dominant-patriarchalen Geschichtsschreibung. Messerscharf sezieren Autor:innen gesellschaftliche Lebensbedingungen. Sie analysieren die im Untergrund verborgen liegenden Herrschaftsstrukturen, identifizieren deren Wirkweise und transponieren sie auf die Ebenen gültiger Verständlichkeit und menschlicher Erlebnisformen. Literatur fördert die Empathie, man fiebert mit einer Protagonistin, einer Gruppe von Menschen mit; ein Fenster in eine unbekannte Welt öffnet sich. Literatur birgt Spannung und Entspannung, spricht vom Möglichen und Unmöglichen, vermag es, mich zu einer Nordpolexpedition mitzunehmen [1], Helene Kottannerin beim Diebstahl der Krone über die Schulter zu schauen [2] oder die Zeitschleifen in Adas Raum zu erleben [3]. Steve de Shazer schreibt vom ursprünglichen Zauber der Worte, von der Kraft, die den Worten innewohnt [4].
Wann hast du selbst zu schreiben begonnen?
Seit ich mich erinnere, hat mir das Schreiben immer Freude gemacht: die Lust am Formulieren, am Ausdruck, der Klang der Worte. Erste Gedichte, die in der Schublade verschwanden und vier Jahrzehnte später wieder herausgeholt wurden.
Nicht wenige deiner Gedichte sind im Dialekt verfasst. Was bedeutet Dialektsprache für dich als Autorin?
Wischbam und Klachl, Dampfl und Wazan – das sind Begriffe aus dem Sprachgebrauch der Kindheit, deren Klang mich augenblicklich in die Muata– und Votasproch versetzt. Es ist ein eigener Kosmos mit seltsam anmutendem Fachvokabular, der auch die Arbeits- und Lebenswelt meines Vaters beschreibt. In Gesprächen mit dem 97-Jährigen schreibe ich die »Fachworte« inzwischen mit. Im Kärntner Dialekt gibt es zwanzig unterschiedliche Bezeichnungen allein für das Weinen. Da kann man zwillen und plärren, heschatzen und rehrn und de Zachalan rinnen losn. Schon durch diese Skalierung wird die Art und Weise des Kummers näher bestimmt. Ein Reichtum im Wortschatz, der uns hilft, die Bewegungen der Seele sorgfältiger zu verbalisieren und sie einzuordnen. Das kann uns näher an unsere Emotionen bringen, zwischenmenschliche Distanzen verkürzen, einen unmittelbareren Weg zu herzlicherem Verständnis bilden. Mundart ist eine Sprach-Ressource, sag ich mal, das Schimpfen geht auch direkter, deftiger.
In der Herzenssprache, der Mundart, fließen Klagen leichter, lodert der Zorn wuchtiger. Eine verborgene Kraft, die sich erst nach und nach zeigt, scheint in ihr zu schlummern; als würde deren alte Melodie uns Frierende ein wenig »wärmen«. Dennoch erinnere ich die Jahre, als gesagt wurde, wir sollten den Dialekt besser meiden, wollten wir in der Schule besser vorankommen. Zu meiner Überraschung eröffnete sich mir in Bünkers sozialkritischen Mundarttexten ein neues Feld. Den Wiener Dialekt, auch das Wiener Lied, mag ich übrigens auch, weil ein Teil meiner Familie aus Wien kommt und drei meiner Kinder inzwischen dort leben.
In deinen Texten geht es sehr oft um feministische Themen, aber auch um Macht und Ohnmacht ganz allgemein. Wie findest du zu deinen Themen?
Über viele Jahrhunderte lag die Deutungshoheit fürs Frauenleben in den Händen der Männer. Tief verwurzelt und nur leicht verdeckt wuchern die unterschiedlichsten Formen destruktiver Frauenbilder. Je länger man als Frau, die Kinder geboren hat, in dieser Gesellschaft lebt, desto mehr häufen sich die Erfahrungen erlebter Benachteiligung, die in unserer ungleichen Gesellschaftsordnung begründet liegt. Kindererziehungszeiten werden in der Pensionsberechnung nur mangelhaft abgebildet, Mütter arbeiten sozusagen für Gottes Lohn, aber das hilft ihnen in der Pension nicht, ihre Rechnungen zu bezahlen. Der Staat bestraft die Mütter fürs Kinderkriegen. Meine Schwiegertöchter sind auf die Öffnungszeiten der Kitas angewiesen, steigen sie in den Arbeitsprozess ein, wählen sie die Halbtagesbeschäftigung, um die Dreifachbelastung der Care-Arbeit zu stemmen. Damit geht aber schon eine zukünftige Verminderung der Pensionshöhe einher, obwohl ihre Partner das Halbe-Halbe Modell in der Care-Arbeit leben.
Die Rente der Bäuerinnen beträgt ganze vierzig Prozent von der des Ehemannes. Alte, unreflektierte Rollenbilder, die das Machtgefälle perpetuieren, verhindern die Wahrnehmung geschlechtergerechter Bedürfnisse. Solange Ärzte meinen, der männliche Körper sei das Maß aller Dinge, werden die körperlichen und seelischen Nöte der Frauen negiert. Bis zum Beispiel der Herzinfarkt einer weiblichen Person erkannt wird, dauert es um einiges länger; Zeit, die der Frau dann möglicherweise zum Überleben fehlt.
Autorinnen erleben massive Benachteiligungen, wie man gerade im aktuellen Gender Report des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport nachlesen kann, mit dem Schwerpunkt auf Fairness und Fair Pay.
Auch Kärntens bittere Geschichte des institutionellen Kindesmissbrauches in den Jahren von 1950 bis 2000 trägt die Fratze dominant männlicher Rollenbilder, die Frauen und Kinder per se entwerten. Nachzulesen in der wissenschaftlichen Dokumentation: »Im Namen von Wissenschaft und Kindeswohl. Gewalt an Kindern und Jugendlichen in heilpädagogischen Institutionen der Jugendwohlfahrt und des Gesundheitswesens in Kärnten zwischen 1950 und 2000«.
Nicht alle in der Justiz tätigen Personen verinnerlichten das neue partnerschaftliche Rollenmodell der Familienrechtsreform von 1975. Dieser Vorgang nahm Jahrzehnte in Anspruch, vor allem im Familienrecht und dem damit verbundenen Gutachterwesen bedient sich Justita gerne noch an althergebrachten patriarchalen Sichtweisen.
Hast du literarische Vorbilder – und wie hast du in deiner Jugend zu ihnen gefunden?
In Großmutters Bücherschrank fand ich unter anderem Werke von Sigrid Undset, Anna Achmatova, Nelly Sachs und Dolores Vieser. Erste Leseprägungen. Mein spärliches Taschengeld investierte ich in Christine Lavants Lyrikbände.
Die Lyrik von Elfriede Gerstl, Christine Busta und Cvetka Lipus gibt mir heute eine Pause im Alltag, das ist wie ein Atemholen. Johannes Lindner, von dem man sagt, er hätte die moderne Lyrik in Kärnten begründet, soll nicht unerwähnt bleiben, seine existentialistischen Naturschilderungen inspirieren. Meine Tochter machte mich auf Clarisse Lispector, Anne Carson und Claudia Rankine aufmerksam. Toni Morrisons Werke müssten zum Standardwerk im Deutschunterricht erhoben werden, ich nenne »Rezitativ« und »Sehr blaue Augen«. Wobei wir bei einem Grundproblem in der literarischen Grundbildung angelangt sind: Im Rahmen des EU Projektes EPESEP erstellen namhafte Literaturwissenschaftlerinnen derzeit eine auf alle Schulstufen abgestimmte Leseliste, die endlich, endlich weibliche Autorinnen nennt und im bisher männlich konnotierten Literaturkanon Geschlechtergerechtigkeit herstellen könnte. Darüber informiert die Homepage der ≠igfem [Anm: Interessensgemeinschaft feministische Autorinnen, www.igfem.at]. Literatur von Männern wird ja bis heute ausreichend beworben und finanziert.
Mich faszinieren die biografischen Bögen: Wie dröseln Schreibende die Spannung von Gelingen und Scheitern auf, wie verarbeiten sie Umbruchsituationen und wie gehen sie mit den Volten des Lebens um? Vor allem aber: Unter welchen Bedingungen (müssen) Autorinnen schreiben? Schreiben sie am Küchentisch wie Marlen Haushofer, im Krieg wie Svetlana Alexijewitsch oder in der Sklaverei wie Phillis Wheatley? Immer wieder neue Autor:innen für mich zu entdecken, kennzeichnet meine eher europäisch geformte Lesebiografie, doch lesend beame ich mich für einen Sommer nach China, Südafrika, Äthiopien, Kanada und Südamerika. Manchmal gehe ich einfach die Wege zum See, im Gepäck ein Taschenbuch von Ingeborg Bachmann.
Du arbeitest gerade an deinem ersten Lyrikband. Welche Gedichte werden darin versammelt sein?
Ich möchte meine Leser:innen auf eine literarische Reise mitnehmen. Die lyrischen Texte sind jeweils einem Ort gewidmet, die Reise spannt sich auch zeitlich über Jahrzehnte. Unterwegs zu sein, lyrisch verarbeitet, vom Ort der Kindheit aus, vom Teich, der einen beinahe verschluckt hätte, passiert die Leseroute das slowenische Jeruzalem, dröhnen die Glocken von Berlins Zionskirche zum Jahrtausendwechsel, graben sich die Zehen in den Strand von Tel Aviv. Der dritte Teil widmet sich der Stadt am Wörther See. Und da gibt es viel zu notieren! Maria Nicolini schreibt dazu im Vorwort: »Diese Gedichte vertreten Positionen aus öffentlichen Kämpfen – als gebe es hinter den Worten noch ein Ziel. Gleichberechtigung der Frau ist ein solches, auch die Behütung der Natur, das Erinnern, die Kinderrechte, die Hochrechnung im eigenen Leben: Als Maries Leben erlosch, überblühte Rosenrot den Hang, wichtig allerdings wäre ihr eines gewesen: die Gleichberechtigung.«
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Die Schrecken des Eises und der Finsternis. Christoph Ransmayr.
Ich, Helene Kottannerin. Die Kammerfrau, die Ungarns Krone stahl. Julia Burkhard, Christine Lutter. Dies ist das älteste Selbstzeugnis einer Frau in deutscher Sprache.
Adas Raum. Sharon Dodua Otoo.
Worte waren ursprünglich Zauber. Von der Problemsprache zur Lösungssprache. Steve de Shazer.
Wie bist du zum Schreiben gekommen? Was schätzt du an der Literatur? Ich bin seit meiner Kindheit eine begeisterte Leserin und habe auch schon recht bald begonnen, Gedichte zu schreiben – einfach aus einem inneren Antrieb heraus. Ich glaube, es ging und geht mir vor allem darum, Antworten auf existenzielle Fragen zu finden und zu verfeinern: Wie kann man seinem Leben in menschenunfreundlichen Systemen Sinn verleihen? Was bedeutet Liebe? Wie ist mit der Endlichkeit des Lebens umzugehen, wie mit Leid? Nirgendwo wird die bunte Vielfalt möglicher Antworten, finde ich, spannender abgedeckt als in der Literatur. Dogmatischen Begründungen habe ich nie viel abgewinnen können – lieber genieße ich mein Leben als fortwährenden Prozess des Entdeckens, Verwerfens und Ergänzens …
Wann ist der Dialekt in dein Schreiben eingeflossen? Ich habe zwar schon immer gern hin und wieder ein Gedicht im Dialekt verfasst, jedoch nie ernsthaft mit Dialekt als Stilmittel gearbeitet – bis ich dann auf den Dialektlyrik-Band »Iba de gaunz oamen Leit« von Christine Nöstlinger gestoßen bin. Dieser hat mich sehr bewegt. Als würde meine Mama neben mir sitzen und mir Geschichten erzählen. Von da an hat mich die Begeisterung für Dialektliteratur gepackt – und nicht wieder losgelassen. Dialekt kann so viel, was Hochsprache nicht kann, und verleiht dem Text eine ganz persönliche Note. Ich habe das Gefühl, dass man mit Dialektgedichten Menschen auf eine sehr direkte Weise berühren kann. Und das ist es ja, was ich möchte: Menschen berühren; anregen, auf eine liebevolle Weise nach innen zu spüren, und dann nach außen zu schauen, vielleicht mit einem etwas ver-rückten Blick auf die Welt.
An welches Ereignis denkst du besonders gerne zurück? Als Künstlerin unter anderem an die vielen tollen Auftrittsmöglichkeiten, die ich bereits hatte und für die ich wahnsinnig dankbar bin. Jede Performance macht mir einfach unglaublich Spaß, und es ist ein schönes Gefühl, nachher mit den Zuschauer:innen zu sprechen und zu erfahren, dass meine Texte wirklich etwas in ihnen bewegt haben. Ich freue mich auch immer, wenn wieder ein Belegexemplar einer Literaturzeitschrift oder einer Anthologie den Weg in meinen Briefkasten gefunden hat. Die eigenen Texte gedruckt zu sehen ist eine tolle Sache. Privat erinnere ich mich zum Beispiel gern an fast alle meiner Geburtstage. Denn diese bieten mir eine gute Gelegenheit, mal wieder viele der Menschen zu sehen, die mir wichtig sind, und gemeinsam mit ihnen einen schönen Tag zu verbringen.
Du bist eine begnadete Performerin, darum finde ich es immer ein bisschen schade, wenn man deine Texte»nur« lesen kann. Was rätst du jungen Performance-Künstler:innen, worauf kommt es auf einer Bühne an? Für besonders wichtig für eine gelungene Performance halte ich Authentizität und Mut zur Verletzlichkeit. Schlussendlich kann echte Verbindung zu anderen Menschen – also auch zum Publikum – nur entstehen, wenn wir uns trauen, auch unangenehme Gefühle auszudrücken, uns wirklich zu zeigen, in unserem nicht-perfekten, wundervollen Menschsein.
In deinen Texten geht es auch um feministische Themen. Mit einem Text über eine Frau, die von ihrem Ehemann regelmäßig geschlagen wird, hast du den »Mundarthunderter« gewonnen, in einem sehr lustigen Slamtext sprichst darüber, wie unsinnig es z.B ist, dass man in den Werbungen für Damenrasierer kein einziges Härchen sieht. Aber du schreibst auch sehr offen darüber, wie es sich anfühlt, sich in den Falschen zu verlieben oder wenn eine Beziehung in Brüche geht. Das macht deine Texte ehrlich und gleichzeitig gesellschaftlich relevant. Wie wählst du die Themen für deine Texte aus? Am Anfang eines jeden Textes steht bei mir erst mal eine – mal starke, mal zarte – Emotion, die Ausdruck finden will. Mit dem Schreiben kann ich sie dann transformieren. Viele meiner gesellschaftskritischen Texte entspringen einer Wut über allerlei gesellschaftliche Absurditäten, die etwa mit Humor versehen einfach besser händelbar wird. Und zwischenmenschliche Beziehungen sind für mich sowieso eine nie versiegende Quelle an verschiedensten Gefühlen – genügend Material für viele weitere Gedichte ist also vorhanden. 😉
Du bist Teil der Interessengemeinschaft Feministische Autorinnen (#igfem). Kannst du uns ein bisschen über den Verein erzählen und warum du dich entschlossen hast, Teil davon zu sein? Bei der IG Feministische Autorinnen geht es uns v.a. darum – wie der Name schon sagt – Autorinnen zu fördern, die feministisch sind und in ihrer Arbeit bewusst einen sprach- und gesellschaftskritischen Zugang wählen. Dies ist mir ein wichtiges Anliegen, und ich genieße auch das gemeinsame Schreiben in den Online-Gruppen, auch wenn ich derzeit leider nicht allzu oft dafür Zeit finde. Eines unserer neuesten Projekte ist die Anthologie »störfeuer«, die wir in unserer Edition #igfem herausgegeben haben, und in der ich gemeinsam mit vielen beeindruckenden Autorinnen vertreten bin.
Was liest du gerade? Zuletzt gelesen habe ich den Roman »Blauer Hibiskus« von Chimamanda Ngozi Adichie. Er gehört – gemeinsam mit »Die Hälfte der Sonne« (ebenfalls von Adichie) – zu meinen Lieblingsbüchern, die ich wieder und wieder lese, weil ich sie so unglaublich gut finde.
Woran arbeitest du derzeit? Mein letztes Projekt war die Erstellung eines Zines mit zwei meiner Gedichte und selbst gestalteten Illustrationen. Zines sind Miniheftchen, die aus einem einzigen Stück A4-Papier gefaltet werden können. Bislang ist mein erstes Zine sehr gut angekommen, was mich natürlich voll freut. Ich biete es gegen eine freie Spende nach meinen Performances an, man kann mir aber gern auch einfach schreiben (ich versende sie auch per Post): kontakt@jasmingerstmayr.at. Ansonsten stehen auch wieder einige Performances an, auf die ich mich vorbereite. Es gibt nur wenige Texte, die ich mehrmals performe, weil ich einfach so gern schreibe und ständig neue Texte produziere. Im Prinzip stelle ich also für jeden Auftritt wieder ein eigenes Programm zusammen. Wer sich für meine Arbeit und Auftrittstermine interessiert, findet auf meiner Homepage (www.jasmingerstmayr.at) mehr Infos und auch Hörproben. Ich versende auch ca. alle zwei Monate einen Newsletter mit Neuigkeiten, Interessierte können sich gern auf meiner Homepage eintragen.
April 2023 Die Fragen stellte Margarita Puntigam-Kinstner
ChristiAna Pucher lebt schon lange in Tirol. Ihre Texte schreibt sie nach wie vor im Waldvierter Dialekt – in den sich einige Tiroler Wörter eingenistet haben. Im März wurde die Autorin 70 Jahre alt.
Du bist in Drosendorf aufgewachsen, heute lebst du im Ötztal. Das ist dialektmäßig gesehen ein ganz schön weiter Sprung. Wann hast du begonnen, im Dialekt zu schreiben – und wo verortest du deinen Dialekt heute?
Zum Schreiben kam ich erst 2011 bei einem Schreibseminar mit Annemarie Regensburger. Bis dahin schrieb ich lediglich Gedankenfetzen in ein Büchlein. Nach dem Seminar animierte mich Annemarie im Dialekt zu schreiben. Da in meiner Sprache mein erlernter Dialekt immer im Vordergrund war, bin ich im waldviertlerischen Schreiben geblieben. In dieses sich in den letzten 50Jahren einige Tiroler Worte einnisteten.
Wenn man den Morgenschtean aufschlägt und deinen Namen liest, fällt sofort das große A auf. Wie bist du auf diese Schreibweise deines Namens gekommen?
Eigentlich war es meine Erkenntnis, dass mein parasitärerer Zwilling, der mir in meiner Jugend entfernt wurde, ein Teil von mir war und immer noch zu mir gehört. Dadurch wurde mein erstes a im Namen groß. Nun ist er eingebunden in meinem Namen: ChristiAna.
2019 warst du Preisträgerin in der Kategorie »Lyrik« des Forum Land Literaturpreis. Hast du immer schon Lyrik geschrieben, oder gibt es auch Prosatexte von dir?
Prosatexte schreibe ich wenige. Hauptsächlich Kurzgeschichten aus meinem Leben, für die Familie zur Nachlese nach meinem Tod.
Aber im Herbst 2023 wurde ich von der Jury des Karl-Pömer-Preis der Gruppe »neue mundart« mit dem dritten Platz überrascht.
In deinen Texten beschäftigst du dich unter anderem mit dem Rollenbild der Frau. Was hat sich deiner Meinung nach in den letzten 50 Jahren gebessert, und wo sind wir noch immer viel zu weit vom Idealzustand entfernt?
Der Wert des weiblichen Menschenbildes hat sich in den letzten 50 Jahren nur ein bisschen gebessert. Zumindest werden wir Frauen manchmal bei Deutsch-Sprechenden, mit -Innen erwähnt. Formt Sprache nicht unsere Gedanken? Gedanken führen zu Handlungen. Handlungen sind ein Teil der Realität. Wenn Frauen in der Sprache nicht erwähnt werden, werden auch ihre Leistungen übersehen. Darum müssen wir Frauen und Mütter, auch Männer und Väter unsere Kinder so erziehen, dass Frauen in der Gesellschaft den gleichwertigen Rang haben wie Männer.
Du bist Mitglied des IDI und auch des »Wortraum Imst«. Ihr gebt gemeinsam Publikationen heraus, regelmäßig tretet ihr auch bei Lesungen auf und beteiligt euch an Ausschreibungen von Literaturzeitschriften. Was bedeutet es für dich und dein Schreiben, Teil einer größeren Autor:innengemeinschaft zu sein?
Es bedeutet für mich, sich Zeit nehmen, ein Dasein für uns Frauen. Es ist ein gegenseitiges Stützen, Stärken und vor allem ist es für mich immer noch bereichernd, das Arbeiten an unseren Textarbeiten und sonstigem gemeinsamen Tun.
In den letzten Jahren erreichen uns wieder vermehrt Texte von jungen Autor:innen, die den Dialekt für ihre Literatur (wieder-)entdeckt haben. Welchen Ratschlag würdest du Ihnen geben? Welche Stolpersteine sind dir selbst begegnet – gerade als jemand, der sich zwischen den Sprachwelten bewegt?
Es erfreut mich sehr, dass es immer mehr weibliche Literatur auf den Büchertischen zu finden ist. Einen Ratschlag? Den dialektschreibenden Frauen und Männern kann ich leider keinen weitergeben. Vielleicht, selbstbewusst im eigenen Stil, in eigener Sprache zu schreiben. So wie ich in meinen Waldviertlerisch mit Tiroler Einistungs-Dialekt.
Zum Abschluss noch eine Frage an dich als Leserin: Gibt es ein Lieblingsbuch von dir? Und falls dieses in Hochsprache ist – kannst du uns noch ein zweites Buch im Dialekt empfehlen?
Das faszinierendste Buch, das ich gelesen habe ist: »Die Frau in der mittelalterlichen Stadt« von Frau Professorin Erika Uitz. Sie beschreibt, warum und wie sehr Frauen im Mittelalter an der Emanzipation des Bürgertums beteiligt waren.
Meine Lieblingsbücher im Dialekt sind die Lyriken von Annemarie Regensburger und von Angelika Polak-Pollhammer. Ich mag ihre kurzen prägnanten Gedichten, die voll mit Leben und Kritik gespickt sind.
A Lichtspiel wio a schüchs Reh spielat de Wal im Wald wemma ’s Wassr ned golond.
Wemma alle Polkappa gschmolza hon, denn isch mi Dorf sicha o untr Wassr. Wia in anra Schüssel isches in Nüziders, in Vorarlberg, überall Berg vo denna ma ins Tal schaua ka, und wenn an Fuchs in da Südtiroler Siedlung gsaha würd, schicken se de Jägr zums Revier markiera. Weil z‘ Dorf ghört da Menscha, abr de Wald o, und z‘ Meer und wemma immr Meer wellen und wenn’s imma haaßr würd, denn hon ma a agnes Meer in Nüziders, können ganz neua Tourismus macha, und da Wale in da Wäldr zuaschaua, wia se zwüscha Hochsitz und Tanna in da Lichtunga schimmern, und wenn se zwüschat da Böm ussa kon, in d‘ Südtiroler Siedlung schwimmen, denn schickan ma d‘ Küschtawache, dass se üser Revier markieren.
Liebe Laura – Was ist Blackout Poetry und warum findest du diese Technik spannend? Einfach gesagt, Blackout Poetry ist das Übermalen oder Ausschwärzen von Teilen eines Texts, sodass nur wenige ausgewählte Worte übrigbleiben. Diese übrigen Worte ergeben einen neuen Kurztext: ein Gedicht. Ich finde diese Technik aus mehreren Gründen spannend, einmal weil sie der Angst vorm Weißen Blatt entgegenwirkt, man startet mit viel Text anstatt mit nichts und erschafft daraus was Neues. Man ist zugleich eingeengt, aber auch davon befreit, sich alles selbst ausdenken zu müssen. Für mich persönlich war das Kennenlernen von Blackout Poetry der Moment, wo ich herausgefunden habe, wie ich mein Schreiben und Zeichnen/Malen miteinander verbinden kann. Wie bei Text-Bild-Collagen kann ich damit transmediale Kunstwerke erschaffen, und verschiedene Geschichten zugleich erzählen. Das reizt mich.
Wie bist du selbst auf Blackout Poetry gestoßen? Ich habe es über das Internet kennengelernt, weil Blackout Poetry in Amerika bekannter ist als hier. Anfangs war ich neidisch, weil man mit der Englischen Sprache »leichter« spielen kann, wegen der einfachen Grammatik, aber Blackout Poems in Mundart zu gestalten, ist nochmal eine ganz andere Geschichte als in Hochdeutsch. Man braucht zwar weniger Grammatik, aber oftmals mehr Buchstaben.
Welches Buch/ welche Bücher hast du bereits für deine Black out Poetry verwendet? Angefangen habe ich mit Büchern, die ich zuhause herumliegen hatte, und bei der Auswahl kam es oft auf die Papierqualität an. Die Seiten dürfen nicht zu dünn sein, wenn man direkt ins Buch malt, aber jetzt arbeite ich mehr digital. Zunehmend ist es interessanter, Texte von mir selbst oder befreundeten Schriftsteller:innen zu verwandeln. Für die Blackout Poems auf Vorarlbergerisch muss ich mal extra ins Ländle fahren, um ein Buch zu finden, in Wien hatte ich da Schwierigkeiten.
Was hast du selbst noch mit Black out Poetry vor? Ich möchte gerne illustrierte Poesiebände damit veröffentlichen, das wäre super, auch Seite an Seite mit den Originaltexten wenn möglich. Das bietet sich an, wenn ich Gedichte in Blackout Poems verwandle, anstatt z.B.: eine Seite aus einem Roman.
Hiunddo hon ma no echtes Wettr, wenns so usschaut, als ob de himmel ahabricht ganz dicht wia a zelt voll rega hängt, schwer und grau und alls, was grüa isch, alls was blau isch, isch weg, und ma kann gar ned sega, des isch mi wettr, weil des isch echtes wettr, ma ka nur lauscha, wias a paar bundesländr wietr dunna donnert, aber wenns nur haß isch, kasch nix sega, nur übr d‘ eisbära nochdenka, und wenns koit isch, o ned, weil san ma froh, dass es no koit isch, denk an d‘ polkappa. hiunddo hon ma no echtes wettr und ned a klimakatastroph.
Gean gurrat de Wurm i hon eam im Rega stoh lo. Z neue Wetter isches Internet. alle wellen mir vozella, was se fürchterliches im Web gsaha hon, und i find, des isch ok, aber bitte nur, sarkastisch. »nah, du nimmsch des ned ernscht, do sin würklich Frauana im Internet, dia machen Schluss mit dir, wenn du sesch, du liabsch se nümma, wenn se an Wurm wären«, set an Bekannta und i gib zua, des nimm i ned ernscht. I hoff, er o ned, aber guates Gespräch.
Eine Annäherung an den Loosdorfer Dialektlyriker Walter Seisenbacher (1951–1983)
von Mario Huber
Mit herzlichem Dank an Traude Seisenbacher für ihr Einverständnis, Seisenbachers Gedichte in diesem Umfang verwenden zu können
Irgendwo fremd zu sein ist auch ein Vorteil. Wenn die Dinge sich nicht sofort in verwandten Bahnen bewegen, Kauz und Kuckuck schreien und der aufgetischte Schotter unter den Reifen knirscht. Langsamer werden, Radio aus, Fenster runter. Warten und nachdenken – und sich fragen, wo man da eigentlich gelandet ist, mit seinen verstaubten Kotflügeln.
Die überschaubar wenigen Gedichte von Walter Seisenbacher (1951–1983) aus Loosdorf in Niederösterreich sind in diesem beweglichen und zugleich festgefahrenen Sinn fremd. Gehen fremd. Fremdeln. Sind weit weg vom gewöhnlichen Heimatverklären der gängigen Dialektliteratur. Damals und heute. Ein Gedichtband, ein paar verstreute Texte in längst vergessenen Literaturzeitschriften graben in der Wildnis des österreichischen Sprechens und Denkens ihre Bahnen. Eine unbegreifliche, abhandengekommene Welt wird dem Verstehenwollen ausgesetzt, ihre Aufnahmebereitschaft hält sich aber bedeckt und hütet sich. Lüftet nichts, nicht einmal zum Gruß.
Seisenbachers Welt ist sehr kalt: Hier hört und sieht und fühlt niemand jenseits der eigenen Körpergrenze. Und wenn doch, dann hat er oder sie es gefälligst für sich zu behalten, Passierscheine werden nicht ausgegeben. Probieren kann man es ja trotzdem. Begleitet wird jede Aufzeichnung der Übertretungsversuche von Frage- und Rufzeichen. Antworten bleiben aus oder sind verheerend. Irgendwo ist die Kette schon lange gebrochen.
probias amoe aus!
probias amoe aus waunz da recht drekig ged und schtöö di mitn untad leid und los aussi deine uakrämpf und schrei: höefz ma! i brauch wen!
oda:
probias amoe aus waunz da recht leiwand ged und schtöö di mitn untad leid und loch an jedn ins gsicht und schrei: waunz wen brauchz – i, i hüf eich!
probias amoe aus probias amoe aus und i garantia da: so oda so: de fian de afoch o.[1]
Die nicht einmal 60 veröffentlichten Texte Seisenbachers zeigen ein einseitiges Sprechen, ein Redenwollen, bei dem nur der Durchschlag weitergereicht wird oder das Gegenüber längst weitergeblättert hat. Keine Widerrede wird gegeben, das Befolgen von Regeln steht im Mittelpunkt der Familienbilder mit Diwan und Psyche. Vor allem dieser Erbkern zieht seine Kreise, in allen Farben eines sehr ungemütlichen Regenbogens.
wos a kind heitzudog oes gsogt kriagt
du, mia foan jetz! und waasd eh:
waunz finzta wiad, gesd schloffn! los ned den küschraunk offn! mid mixa schbün is gfealich! bleib imma braf und ealich! fagis a ned aufs woschn! du waasd, du soesd nix noschn! moch uadnung in dein zimma! den lula brauch ma nimma! und wosch da a dein hoes! (da libe gott siach oes) und schoet den feanseha oo! und bitte gee aufs kloo! und leg di pünktlich nida! zum frühschtük siaxt unz wida!
tschüss! [2]
Wie die andere Seite der Ermahnungen und Drohungen schließlich damit umgeht, ist im einzigen, postum veröffentlichten Gedichtband Grauer Schmetterling, gleich auf der folgenden Seite nachgezeichnet. Eingedenken in den Familienbenjamin, der die Vorerfahrenen in sich und auf sich zu spüren bekommt. Die Angst vor der Hilflosigkeit der Eltern, die Angst vor der nicht gewürdigten Anstrengung, vor der vermutlich mundabgesparten Gabe, treibt ihre schlumpfigen Früchte.
gebuazdog
a duatn – a hosn und schlumpfi a poa da foda is bsoffn und foad ma duachd hoa
a mädschbox – a biachl: „schlumpfi schlumpfd am zaubersee“ die mama mochd benco und fian fodan an kafee
a lego – a füzschdift a schlumpfiquardett mei schwesta hod kopfwee und ligt scho im bett
owa i, i muas aufbleim und mi gfrein wia a noa sunst griag i a dädschn (so wia im furign joa)[3]
Später wiederholt sich die Szene wieder und wieder, durchaus mit wechselndem Personal. Die überantworteten Hülsen einer zur Schau getragenen Meinung stanzt da auch ein Lehrkörper in das zu prüfende Gefäß. Ein Loch ist im Eimer, i bin fola lecha [4] nennt Seisenbacher ein Gedicht. In Klassenräumen und ähnlichen Kämmerlein ist das Sprechen des maßgeblich Versiegelten schon so weit gediehen, dass die hingerotzten Gemeinheitsplätze ungefiltert zurückgeechot werden. Der Beruf führt verschließlich zur Einberufung.
de leazeid is ka leere zeid!
in meina leazeid haums ma lauta wichtige sochn beibrocht! zum beischbüü waas i jetz:
das mei masta imma recht hod, und das de geweagschoft imma liagd. das unsa bedribsrod schau long nimma gwöed kerad, und das da schef a neiche freindin hod, und das de freindin unsa leamensch is!
i waas jetz aa: das de leabuam muazdrum frech san, das de tschuschn schdöen und liang dan, das aum heisl imma graugt wiad, und das ma fia de übaschdundn kan groschn mea zoed griang!
und das unsa geweabe aum saund is, und das ma woascheinlich e boed zuaschbean kenan – und das ma olle midanaunda sowieso de ewig augschmiadn san – das waas i jetz aa!
in mein gsöenbriaf schded: i hob mein „Lehrziel mit Erfolg erreicht“! [5]
Doch noch ein Schmunzeln, vielleicht. Angekommen, erreicht, ja. Eine Auskunft darüber, wo das jetzt ist, lässt sich aber weder ergattern noch ergaunern. Vielleicht doch umkehren? Eine Wurzel des Kreislaufs, der das sündige Denken in den sündigen Körper leitet, ist auch in der niederösterreichischen Pampa die katholische Kirche. Dort werden die sündigen Taten, die sich über die sündigen Hände, Finger und das wahnwitzigste aller sündigen Glieder in die Welt ergießen, erst frisch hergestellt und rissverpackt mitgenommen. Alpha und Romeo, lebenslange Garantie. Glaubt man den Aufzeichnungen von Trude Marzik, die Seisenbacher einige wenige Jahre mit unterstützenden Worten und Briefen begleitet hat, war allem Vorbehalt zum Trotz ein gewisser Pater Michael ein Freund der Familie.[6] Ein typischer Widerspruch im Land der TöchterSöhne, der sich gut zum Versteigen eignet. Das lassen wir aber.
mid da tauf faungz au
kaum woar i auf da wöed, haums mi gschnappt und in a kiachn drong und tauft.
oba i hob ned woen. und rechd gschdramped. und laud gschrian.
da pforra hod glocht! de mama hod glocht! de fawaundn hom glocht! da papa hod fotografiat.
und jetz auf amoe woar i a grist! reingwoschn. unschuidig. sindnfrei.
und wäu i jetz a brafa grist woa, hob i betn gleant. hob i a schuzengal griagt. hob i fom himmifata dramd.
und wäu i jetz a brafa grist woa, haums ma gsogt: walta, waunzt aufs topal gest, schbüü di jo ned midn lulu!
und ois brafa grist bin i in da schui in religionzuntarichd gaunga: lauta remische ansa!
und oes brafa grist waor i natüalich a ministrant: mia radschn, mia radschn den himmlischen gruas…
und ois brafa grist hob i a schlechz gwissn kobt, waun i ma hamlich im doktabiachl a nokate frau augschaud hob.
und ois brafa grist hob i ma nie draud das i a mal augreif und zoat schdreichld.
und ois brafa grist hob i kiachlich und jungfräulich keirat.
und ois brafa, brafa grist hob i mei kind sofuat taufn lossn!
oba, schdöezz eich fua:
dea bua hod ned woen. dea hod rechd gschdramped! und laut gschrian!
i hob e a poa foto gmocht. woaz, i zags eich schnöö.
wo hob is den? … wo hob is den?[7]
Der Vater, der Sohn, der heilige Kreis. Eine Biografieangabe, eine verendende Geschichte im dunklen, heimischen Nestbeschmutzungsgang. Man tut eben, was sich gehört, wann es sich gehört und mit wem es sich gehört. Gefühlt wird, ja, aber mit den Händen immer in Sichtweite. Was hinter den geschlossenen Türen für Anstalten gemacht werden, wer dann da wirklich was tut, das übergeht man lieber. Wer bei Seisenbacher spricht, ob er seinen eigenen Abgekommenen beobachtet oder ob er sich in seine eigene Kinderstube zurückdenkt, bleibt offen. Zeit spielt eine untergeordnete Rolle in diesen Texten, kommt doch alles alles alles immer immer immer wieder wieder wieder. Kreiselt, bis es eben nicht mehr geht.
mei klane schwesta
mei mama woa im schbidoe und wias zrugkumma is hoz a klans puzal midbrocht.
des is dei schwestal hoz gsogt: des muast geanhaum.
mei mama is jetz gaunz aundas. den gaunzn dog und de hoabate nocht drogz des puzal umadum!
oba fia mi, fia mi, hoz ka zeid, hoz ka zeid mea, fia mi…
maunchmoe, waun de mama gschwind in d kuchl ged renn i zum kindawong und zwik des puzal gaunz fest in de waungan oda reiss be de fiass oda faschdek eam in lula.
daun faungz au zum plazzn, bis de mama kummt, und de mama schreit a: los des puzal in rua!! dea den puzal ned weh!! des puzal is noo zklaa zum schbün! gee in dei zimma!
waun do de mama daumoes ned in des komische schbidoe gfoan waa!
i wia mei klane schwesta nia geanhaum kenna … [8]
Der will doch nur spielen, reimt mann und frau sich händeringend zusammen, damit die Welt sich nicht in bessere übergeben muss. Kurz zusammengeschlagen. Der Kreisel eiert, er zeigt auch Veränderungen. Nicht alles bleibt, wie es ist, manches wird sogar schlechter. Dabei gibt es immer wieder Versuche, jemanden in die eigene Wahrnehmung einzuladen. Mal zeigend, mal hinweisend – es ändert sich viel, gebaut muss schließlich werden. Gerade am Land, wo doch so viel Platz ist. Woher wüsste man überhaupt, wie Natur auszusehen hat, wenn es nicht den BillaSparHoferMondoparkplatz gäbe?
i zag da wos:
schau! duat om. zwischn de heisa, des schdikl weis – des is a woekn!
schau! duat zwischn da schtrossn, des schdikl grea – des is a gros!
schau! duat hintn, wos des neiche kaufhaus baun – des woa bis jetzt a pak! schau! gschwind schau!
a eichkazal. a eichkazal … odar woas a rozz? [9]
Zwischen den ganzen Anrufungen, von Bonifatius bis weiter unten im Heiligenlexikon und den ausgebliebenen Antworten von weit näher am Herzen und Ort des Huthinhängens kommen dann doch kleine Oasen des Miteinandersprechens. Aber die Antwort, die man möchte, muss man sich erst zurechtschnitzen, wenn man nicht schnell die Fenster wieder hochkurbelt, hochkurbeln muss, und sich unter den Scheibenwischern versteckt. Dieses Witschwatsch und Zischkrach hinter der Scheibe ist zumindest bekannt.
easchte libe
mia maum a mal in da klass. de mizzi is. aus sizzntoe. waun mi de auschaud, wiad ma haas. de mechd i heiratn amoe!
si schaud so wiar a fümschdaa aus – de wangal rod, de zepf so laung. heit hauma zwaa schdunt frira aus – i gee in park, woad auf da baung …
und waunz fabeikumd, schpring i auf. und schrei: mizzi! sizz di hea zu mia! jo kumsd den ned fa söeba drauf wia grosse sehnsucht i faschbia?
i schdee auf dii! i hob di gean! du bist mein traum, mein lebn. du muast amoe mei weibal wean! i wia da ollas gebn!
do fliang de zepf! und di mizzi locht! si schaud mi gliklich au. und daun sogz: guat is! obgemocht: du wiasd mei easchta mau! [10]
Die Enttäuschung ist groß, erster sein zu dürfen, liest man in den Text rein, wenn man ihn neben den anderen röntgt. Ein läufiges Leben steht in den Kinderbeinen und dazwischen also im Melker Umland schon fest. Welchen Unterschied ein Wörtchen machen kann. Schweigen wäre [unleserlich]. Eins, zwei, drei: Zählbar wird das Leben viel zu leicht und damit schwer, auch wenn es um andere Freundschaften geht.
meine habara
untatitl: da egon, da schual und da bert – a so a freindschoft is wos wert! […] und wos ma de weat is, des sog i eich aa: im gaunzn schau sex hundata!! [11]
Geburt, Kindheit, Ausbildung, Kirche, Liebe, Freundschaft: Wenig bleibt, was hier dem Dasein zugutegehalten werden kann, wie es scheint. Kalt ist’s hier, wie gesagt, ziehen tut’s, gerade hin und weg vom Herzen. Denn die Wegweiser kann man durchaus umdrehen, sich gegen sich selbst richten, erstmal in der sanften, nicht der vorwegnehmenden Art und Weise. Der Versuch der Selbstbesserung, ver und überhaupt, eines Ausbrechens aus dem ewigen Kreisen und Bausparvertragseinzahlen.
medidation waun i meditian wüü daun moch i oes easchtas imma de fenzta zua und gib de rollo oba.
daun zint i a poa keazzn au und a poa indische reichaschdabal und an glan kessl mid an weirauch. daun moch i an tee leg a saunfte plottn auf und bind ma meine hoa hint zaum.
daun ziag i mi um und hoe mei afghanische dekn und probia drauf den sünburmesischn lotusblütnsitz.
daun les i noamoe noch im „großn jogabiachl“: wiar i sizzn muas wiar i otmen muas wiafüü zeid i hob und wo des dritte aug hinleicht.
daun faung i au zum meditian…
meditian des haast: ollas ringshearum fagessn.[12]
Fast müsste einem beim Lesen ein Lachen auskommen aus der fast schon zugeschnappten Falle. Ertappt beim Einkaufen für zukünftige Heilsversprechen, fühlt man in der Meditation den eigenen Pulsverschlag. Wissen macht halt noch nichts, die Selbstbeobachtung führt nicht unbedingt in die Bedingungslosigkeit, denkt mann und frau vielleicht außensichtig. Vielleicht nochmals die Blickrichtung ändern, wenn man denn schon schoßige Wurzeln geschlagen hat. Den Feldstecher auf die anderen richten. Die Ablenkung, das Dazugehörenwollen, das Ameigenenstatusarbeiten kann doch ebenso ein Einrichten in der Welt sein. Endlich die Vielfalt erkennen, die man bis zum Ende wenn nicht in-, dann zumindest kohabitiert.
da fäabige feanseha
heit haum ma se an kaft. und jetz is eascht drei! oba unta da wochn faungt s feansen eascht um hoeba sexe au. (s testbüd is zwoar a schee fäabig – oba des wiad ma schau laungsaum fad) heit schpüns zeascht an französischkuas: paale fuze wuu? (in foabe!) daun s östareichbüd: (i bin neigierig, wia de klinga augschmiad is) nochhea: zeid im büd (s easchte moe a rotes bluat!)
schbeda is a oeda heimatfüm. (in schwoazzweiss? – de oaschlecha!) daun is no da club zwaa (ob da nenning schau graue hoa hod?)
und nochhea?
is leida schluss.
hofndlich gibt dea klane gschropp oba heit a ruah! [13]
Aber auch hier wieder Überforderung, abdriften, wegdriften, der einzige Wunsch, wie es scheint: den Sohn oder die Tochter, geschlechtslos im Angesicht des Herrn, aus den Augen und Gedanken verlieren. Wenn der Tank bereits leer ist, möchte man meinen, und auch sagen. Weiter weg, nicht nach innen, auch nicht nach außen blicken, wirklich die Beine in die Hand nehmen und in die echte Fremde, ein anderer Ort, eine andere Zeit fast. Eine bessere Vergangenheit, eine einfachere Zeit, die man sich zusammenreimt. Auch das passiert jenseits des üblichen Dialektheimatkitsches, mit dem Muatal am Herd und dem Vota mit der Pfeifn in der Stubn beim gemeinsamen Beten. Weg aus dieser fremden Welt, mit ihrem Konsum und ihrer Kälte, „FROMMer“ werden, wie Seisenbacher in einem Inoffiziellen Lebenslauf[14] schreibt, der in seinem Gedichtband abgedruckt ist und der stückelweise mehreren Briefen an Trude Marzik entnommen ist. Frommer im Sinne des Analytikers Erich Fromm, den er gerade gelesen hatte. Durch die Scheibe führt der Weg, vorbei an den Wischern, vorbei an der wirklichen Welt in eine zusammengesponnene, eine redaktionell bearbeitete, eine Abenteuerwelt. In erlesenes Sein.
der ruf der wildnis
i hob an füm gseng. im feansen, üba alaska.
schdöez eich fua: duatn gibz heite no, in unsara modeanen zeid, trappa! foenschdöla! goedgroba! und woefsbluadige schlittnhund!
genau a so wiar in de oedn biachl fom tschek london. i wüü jetz nimma fakeifa wean – beim hatlaua – so wia mei papa.
i wüü a nima in i hechare schui, und rechd gschdudiad wean – wia sis mei mama oewäu eibüt …
[…] i mechad fuat! waunz ged no heid. […] (pfiad eich, leid) [15]
Pfiad di. Das Ende von Walter Seisenbachers Leben muss nicht erzählt werden, die Minusrechnung der Jahreszahlen ergibt schon im Überschlagen das richtige, wenn auch tatsächlich falsche Ergebnis.
Der löchrige Walter wird soweit eine Leerstelle bleiben. Seisenbacher, von dem Jörg Mauthe nur zu schreiben weiß, dass er unwissend neben ihm gesessen und ihn nicht kennengelert habe, weil er da war, „ohne auch nur einmal den Mund aufzutun“ [16]. Die Texte sprechen, mit ihrem eigenwilligen Sagen, ihrem um Verständnis ringenden Insistieren, ihrem Fragen und Rufen. Vielleicht findet sich auch heute noch kaum eine Antwort. Zumindest kann man die Anliegen weitergeben, durchreichen, bevor man sich seine Flügel putzt und in bekanntere Gebiete weiterfliegt. Gerade, wenn sie einem zunächst ein wenig fremd erscheinen.
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Literatur von Walter Seisenbacher
Walter Seisenbacher: Grauer Schmetterling. Niederösterreichisches Pressehaus 1983.
„i suach auf olle schdean“. Gedichte von Walter Seisenbacher. in: Wiener Journal November 1980, S. 20. [Texte: hüfe; i zag da wos:, de technik; mia brauchn kann kriag mea; epilog]
Gedichte. in: das pult. literatur kunst kritik 59 (1981), S. 13. [Texte: i zag da wos; moxd mi nimma?; de technik]
meine habara. in: Bakschisch. Zeitschrift für humorvolle und skurrile Texte 3 (1981), S. 21.
buschwindröschen. in: Bakschisch. Zeitschrift für humorvolle und skurrile Texte 4 (1982), S. 60.
i bin fola lecha. in: das pult. literatur kunst kritik 68 (1983), S. 69.
Gedichte. in: HEIMATLAND. Literatur aus Österreich 4 (1988), S. 120-121. [Texte: schbed – oba do; duat in da wisn ligt ana]
Literatur über Walter Seisenbacher
Jörg Mauthe: Walter Seisenbachers Gedichte. in: Wiener Journal November 1980, S. 20.
Trude Marzik: „Es muass do irgendwo an Weg gebn. Eine Dokumentation in memoriam Walter Seisenbacher“. Österreichische Nationalbibliothek, Literaturachiv. Nachlass Trude Marzik (LIT 452/17/W17)
»Dialekt ist ausdrucksvoller, weil er Gefühle anders bündelt«
Du bist eine der Wenigen, die Prosatexte im Dialekt verfassen. Wann entscheidest du dich für den Dialekt?
Der Inhalt des Texts gibt die Sprache vor. Ist der Text näher am Erlebten, verlangt er oftmals Dialekt. Dialekt ist ausdrucksvoller, weil er Gefühle anders bündelt, aber gleichzeitig vieles offen lässt. Dieses Abstrahieren ist das »Gscheite« am Dialekt, dem oft das Einfache zugeordnet wird.
Du bist im nördlichen Waldviertel aufgewachsen, dann aber nach Wien gegangen. Mittlerweile lebst du wieder im Waldviertel. Hat sich dein Dialekt durch den Ortswechsel verändert?
Meinen Waldviertler Dialekt habe ich nie abgelegt, durch meine Zeit in Wien aber bestimmt etwas abgeschwächt. Durch die gewonnene Distanz und die Rückkehr ins Waldviertel nehme ich die Stärken des Dialekts als Ausdrucksmittel intensiver wahr.
In deinen Texten geht es oft um die verborgenen Dinge. Um die Einsamkeit, die sich dadurch äußert, dass man sich einen Kellner herbeiwünscht, der einfach nur zuhört. Um den Bürgermeister, der sich zu Hause anders gibt als vor seinen Wähler:innen. Oder auch um Dinge, die bleiben, wenn Menschen gehen. Wie entstehen deine Texte?
Wir alle tragen unzählige Geschichten in uns herum. Die Texte sind gut versteckt. Durch Impulse von außen drängen sie an die Oberfläche. Manchmal passiert das in Form einer Explosion. Da unterbreche ich am besten das, was ich gerade tue, und schreibe es sofort auf. Bei manchen Texten weiß ich, wo sie vergraben liegen. Diese muss ich vorsichtig freilegen. Die verwendete Sprache birgt Überraschungen.
Was liest du besonders gerne? Und liegt auf deinem Nachttischchen manchmal Literatur im Dialekt?
Mein Nachttischchen ist eine Kommode, auf der sich immer (zu) viele Bücher stapeln, die gelesen werden wollen. Da findet sich viel österreichische Literatur, aber ich tauche auch gerne in andere Welten, wie die von Stephen King, ein. Dialekt lese ist nicht besonders viel. Durch einen Artikel in der Wiener Zeitung bin jedoch ich auf Josef Mayer-Limberg gestoßen, den ich immer wieder zur Hand nehme, weil mich sein gebündelter ausdrucksvoller Dialekt beeindruckt.
Wenn du jemandem, der noch nie dort war, das Waldviertel und seine Menschen beschreiben müsstest – wie würdest du es tun? Gibt es DAS Waldviertel überhaupt?
Im Waldviertel gibt es Naturnähe, aber auch Rauheit. Das beeinflusst die Menschen. Durch die kleinen Orte, eingebettet in weite Felder, entstehen kleine Mikrokosmosse. Diese eröffnen, auch durch das Zusammentreffen sozialer Unterschiede, große Welten.
Mai 2024 Die Fragen stellte Margarita Puntigam-Kinstner
Du bist in Salzburg aufgewachsen und lebst in Wien. Wo würdest du deinen Dialekt verorten?
Irgendwo auf der Westbahnstrecke dazwischen. Manche Ausdrücke habe ich zwischen den Sitzreihen im Zug herausgekletzelt, als man von Wien nach Salzburg noch über drei Stunden gefahren ist, manche hab ich beim Zähneputzen in 1030 gefunden (»Giftschipperl«!) und ein paar hat mir die Salzach beim Biertrinken am Elisabeth Kai angeschwemmt.
Dialekt ist ja nie etwas Statisches, das man ganz genau verorten kann (sorry, Sprachwissenschaft). Sicher hört man manchmal, dass ich aus Salzburg bin, aber »dooni« habe ich sicher von einer Freundin aus Oberösterreich übernommen und andere Dinge von anderen Menschen. Es ist immer ein Konglomerat, das ist ja auch das Schöne daran.
Du schreibst nicht nur, aber auch im Dialekt. Wie kam das?
2013 wurde der AnnoDialektDonnerstag gegründet und da ich damals schon viel beim AnnoLiteraturSonntag war, bin ich auf Dialektliteratur abseits von Heimatgstanzln und so aufmerksam geworden. Das hat dann vielleicht ein bisschen passiv in meinem Hirn dahingeköchelt und irgendwann gab es ein Thema, einen Text (»Hoiz hockn«), der unbedingt heraus musste und das im Dia lekt. Es hat einfach nicht anders gepasst. Danach habe ich mich dann mehr mit Dialektliteratur beschäftigt, meine eigenen Vorurteile ihr gegenüber abgebaut und gesehen, wie vielseitig dieses Feld ist.
Die Auseinandersetzung mit Dialekt(en) fand ich schon immer spannend, manchmal auch einfach lustig und oft erzählen Dialektworte sehr viel mit. Und das kann eine als Schriftstellerin ja nur interessieren.
Außerdem gibt es gewisse Ausdrücke im Standarddeutschen schlicht nicht beziehungsweise keine Äquivalente, die genau dasselbe ausdrücken. »Am Oasch gehn«, zum Beispiel, oder »zach« (beides brauche ich sehr viel).
Deine Texte behandeln meist aktuelle Themen und gehen nahe. Wann entscheidest du dich bei einem Text für den Dialekt?
90 Prozent meiner Texte entstehen im Standarddeutschen, bei den restlichen 10 Prozent, die im Dialekt sind, liegt es oft an einer Formulierung, einem Satz, den ich irgendwo gehört oder gedacht habe, der hängen geblieben ist und von dem ausgehend sich ein ganzer Text (oder zumindest eine Textidee) entfaltet. Manchmal liegt es daran, dass das Standarddeutsche das Vokabular einfach nicht hergibt (wie bei den Beispielen oben), manchmal daran, dass sich eine gewisse Stimmung in meinen Augen besser im Dialekt erzeugen lässt.
Du arbeitest nun schon seit einigen Jahren in der Morgenschtean-Redaktion mit und bist dort unter anderem für die Textauswahl zuständig. Welche Texte sind es, die dich persönlich besonders packen?
Die ohne Pathos, die klug gearbeitet sind. Texte, bei denen man merkt, der*die Schreibende hat seinem*ihrem Text vertraut und muss nichts erklären, sondern lässt den Text die Erzählung tragen. Die Texte, die mit einem feinen Gespür etwas Zwischenmenschliches aufgreifen und die politischen Texte, die ohne plumpe Gemeinplätze auskommen. Und die, wo ich nicht das Gefühl bekomme, der*die Schreibende hat mit Gewalt einen Text zum ausgeschriebenen Thema aus sich herauszwungen oder das Thema im Nachhinein mit einem mittelgut passenden Satz in einen bestehenden Text hineingeworfen, man merkt das ja beim Lesen.
Liest du privat auch viel Dialektliteratur?
Tatsächlich lese ich weniger, aber höre Musik im Dia lekt. Eine Band, ohne die ich nicht mehr kann, ist
Dritte Hand. Es gibt keinen Song, der mich da nicht zuawi fongd, durchbeidld und bessa wieda außalossd. Das kann ich zum Duschen, zum Tanzen, zum Zugfahren, zu allem hören.
Wenn ich mal wieder richtig weinen will, höre ich »zehna« von SarahBernhardt (es gibt aber auch genügend Songs ohne Tränenfunktion, außerdem ist das recht subjektiv, will nur dazu gesagt sein). Wenn ich breit grinsen will, höre ich die Gesangskapelle Hermann.
Literarisch hänge ich an den Texten von Christine Nöstlinger. Und an denen von Redaktionsmitglied Anna Stiegler.
Du engagierst dich in den Redaktionen von Literaturzeitschriften (neben dem Morgenschtean auch bei &Radieschen), auch leitest du diverse Schreibwerkstätten. Sprich: Es ist dir ein Anliegen, neue, noch nicht so bekannte Autor:innen zu fördern. Wie hast du diese Leidenschaft entdeckt und warum ist dir das so wichtig?
Im Grunde ist es recht einfach: Wir fangen alle irgendwo an. Niemand schreibt einen ersten Text und wird groß veröffentlicht. Aber diese ersten Veröffentlichungen und Lesungen geben Zuspruch und ein erstes literarisches Selbstvertrauen.
Würde ich meinen ersten Text, der damals 2012 oder 2013 in & Radieschen erschienen ist, nochmal so schreiben oder veröffentlichen? Nein, sicher nicht. Und das ist völlig okay und gut so, es ist ja schließlich Zeit und Arbeit an meinem Schreiben vergangen. Aber diese Veröffentlichung war wichtig, genau wie meine erste Einzellesung im Café Anno.
Deshalb ist mir auch die Arbeit beim AnnoLiteraturSonntag so wichtig. Ganz viele Schriftsteller*innen machen bei & Radieschen oder im Café Anno ihre ersten Gehversuche. Es muss nicht perfekt sein, man kann sich ausprobieren. Es ist ein wertschätzender Rahmen und die niederschwellige Möglichkeit auf eine abendfüllende Einzellesung.
Und bei den Schreibwerkstätten ist es mir vor allem wichtig, Literatur und Schreiben als ein Gespräch zu vermitteln, als etwas Dynamisches, das wachsen kann. Ich sage immer, jede Person kann schreiben, man muss halt nur dazu finden, was man wie schreiben will und bereit sein, an Texten zu arbeiten.
Mai 2024 Die Fragen stellte Margarita Puntigam-Kinstner
Auf der Slambühne kennt man dich als Poetin, die den Rhythm and Blues im Blut hat, deine Texte gehen nahe, nicht nur inhaltlich, sondern auch weil du eine begnadete Performerin bist. Hast du schon als Kind geschrieben beziehungsweise warst du immer schon ein Bühnenmensch?
Ich habe in meiner Jugend angefangen zu schreiben. Die Bühne und die Aufmerksamkeit habe ich immer gescheut. Seit etwa 12 Jahren stehe ich jetzt trotzdem regelmäßig vor Mikrofon und Publikum. Ich bin immer noch kein Bühnenmensch. Aber ich mag es durch meine Texte eine Stärke zu finden, die mich trägt, und die andere tragen kann; eine Intimität zu erzeugen, die die Distanz zwischen mir und den Zuhörenden bricht und dadurch eine Verbindung aufbaut, welche sehr viel Kraft und Innigkeit mitbringt. Da geht es nicht um Aufmerksamkeit. Da geht es um Einigkeit. Ich trete nicht mehr oft auf, aber wenn, dann hat es für mich jedes Mal sehr viel Bedeutung.
Du spielst in deinen Texten mit Sprache, Rhythmus und Dialekt, immer wieder fließen ganz natürlich Anglizismen ein, dein Vortrag ist dynamisch und jung, kommt ganz locker rüber und reißt mit. Wie hast du zu dieser ganz speziellen Form gefunden? Gab es da auch Vorbilder?
Ich höre super gerne Musik aller Genres, beschäftige mich mit modernem Lyricism, verfolge zeitgenössischen Spoken-Word, lese Gedichte längst verstorbener Dialektautorinnen – da sind sicher einige Einflüsse, die unterbewusst hängen bleiben und in meinen Sachen mitwirken. Meine „ganz spezielle Form“ habe ich dennoch sehr unspeziell gefunden. Ich will mich nicht bemühen, wenn ich in meinen Texten etwas erzähle. Die Einfachheit der Dinge reicht oft aus, der Dialekt malt genug. Ich will mich nicht verstellen, oder gefallen. Ich will mich fallen lassen. Da habe ich nicht den Anspruch, dass ich perfekt reime, wunderschöne Bilder erzeuge, oder makellose Metaphern, mit denen alle etwas anfangen können. Ich will mich zeigen, mit allem was ich bin. Und ich bin alles. Ich bin laut, singend, summend, leise, zart und brüllend, witzig, oder eben tiefsinnig. Das ist nicht zwingend meine Form, das ist mein Sein.
Deine Texte sind emotional und packen die Zuhörer*innen – was damit zu tun hat, dass du vom Leben erzählst. Man schmunzelt mit dir, man lacht, man trauert aber auch, man verfällt stellenweise in Selbstmitleid, man schöpft wieder Hoffnung. Und wenn du die Bühne verlässt, geht es einem irgendwie besser, trotzdem nimmt man auch etwas zum Grübeln mit. Wie entstehen deine Texte bzw. wie kommst du zu deinen Ideen?
Mein Leben hat sehr viel Fülle. Daraus kann ich schöpfen. Ich arbeite Vollzeit als Sozialarbeiterin in einer Psychiatrie. Ich genieße meine Freizeit, meine Freundschaften, mein Feierabendbier. Da kommen Themen und Ideen oft aus Gesprächen, Begegnungen, Geschehnissen des Alltäglichen. Ich nehme mir nie vor, irgendwelche großen Themen herzunehmen und dazu etwas zu schreiben. Dazu fehlt mir auch Disziplin und Verfassens-Eifer. Der Tiefgang des Gewöhnlichen tröpfelt mich täglich an und das Schöne noch dazu!
Du bist in Mittersill in Salzburg zur Welt gekommen, heute lebst du in Graz. Wie würdest du selbst deinen Dialekt bezeichnen? Lässt er sich einer Region zuordnen oder wurde deine Sprache durch das Leben in unterschiedlichen Regionen geformt?
Genau, in Mittersill geboren und im Alm- und Skidorf Königsleiten auf 1600m unter jeder Menge Tourist*innen großgeworden. Das brachte mir immer den Vorteil, dass ich im Deutschunterricht eines der wenigen Kinder gewesen bin, welches tatsächlich Hochdeutsch reden konnte. Im tiefsten Oberpinzgau tat man sich damit nämlich schwer. Meinen Dialekt würde ich als Pinzgauerisch bezeichnen, mit tiroler Einflüssen und städtischen Abflachungen zur Verständlichkeit der Allgemeinheit. Ich bin aber eher der Meinung, dass jeder Mensch seine ganz eigene Mundart hat. Wie ein Fingerabdruck quasi. Und ich denke, ich hab meine ganz eigene Mundart. Das Pinzgauern durch die Schulbildung und den Freundeskreis, das Tirolerische durch die Mama, Slang und Anglizismen, weil jo mei, ich bin halt doch Teil der Internetgeneration und zeitgleich mag ich aber das Altertümliche und finde Dialektbegriffe zu schön, um sie nicht täglich verwenden zu wollen. Gschtiascht. Griaweg. Herzigrazi. Glanglduttat. Zwidawuschz. Znaxt. Bacheiwoam. Die Liste ist ewig. Das Steirische hab ich nicht wirklich angenommen.
In DUM-Das Ultimative Magazin gibt es in jeder Ausgabe auch deine Kolumne flimmern.fischen zu lesen. Wie bist du auf den Titel gekommen? Welche Bedeutung hat er für dich?
Im Endeffekt ist alles Geschriebene, alles Replizierende ein Bruchteil von dem, was wirklich war und wahr. Ein Flimmern sozusagen. Und davon fische ich.
Beim Niederschreiben bekommen deine Texte nochmals eine andere Form. Da geht es dann auch um Zeilenumbrüche und die Niederschrift des Dialekts. Ist dir das von Anfang an leicht gefallen oder hast du dir deine Schreibweise des Dialekts erst erarbeiten müssen?
Mir fiel das von Anfang an leicht. Mit 13 hab ich mein erstes Handy bekommen und wir haben uns immer im Dialekt gesimst. Ich habe also keine Schreibweise erarbeiten müssen, sie war da. Ich schreibe so, wie ich es sage. Ohne Umlautzeichen, Kringerl, oder was auch immer. Die Form meines Geschriebenen ist mir allerdings nicht wirklich wichtig. Das Sprechen ist für mich wesentlicher. Der geschriebene Dialekt exkludiert. Der gesprochene weniger. Nicht-Dialekt-Sprechende kommen nach Auftritten zu mir und meinen häufig „ich habe nicht alles genau verstanden, aber ich habe es verstanden.“ Das funktioniert beim Geschriebenen weniger, weil die Transportmittel, die Stimme, die Haltung, meine Körpersprache, fehlen.
Du bist auch fixer Teil der Grazer Lesebühne V.O.L.T. Was bedeutet es dir, gemeinsam mit anderen auf einer Bühne zu stehen?
Kollektiv künstlerisch tätig zu sein ist essenziell für den eigenen Wachstum und Perspektiven-Erweiterung. Es kurbelt die Kreativität an, es kann ärgern, es lässt diskutieren, miteinander lachen, jammern und jammen, schreiben, schweigen, es macht Spaß, es distanziert, es vereint. Es ist toll, alleine mit einem Soloprogramm auf der Bühne zu stehen, aber es wird langweilig. Ich will mich doch nicht die ganze Zeit selber hören?! Es ist für michbereichernder den kreativen Raum für Mehrere zu öffnen.
Sich auf eine Slambühne zu wagen ist für viele ein großer Schritt. Immerhin geht es dort nicht nur um die Qualität des Textes, sondern auch um den Vortrag – und man muss sich dem Feedback des Publikums stellen. Wie war dein erste Mal auf einer Slambühne? Und was würdest du jenen Menschen raten, die sich bisher noch nie auf eine Bühne gewagt haben, aber davon träumen?
Ich war 15 und scheiße nervös. Mein Text war (nicht im Dialekt) furchtbar pathetisch und sehr sehr weltverbessernd. Genauso, wie ein erster Text sein muss. Ich bin meinen ersten Schritten, und allen die mich in der Slamszene begleitet haben, sehr sehr dankbar. Heute stehe ich der Kommerzialisierung des Poetry Slams eher kritisch gegenüber. Damals waren es Nerds und Freund*innen, die sich gegenseitig eigensinnige Texte vorgetragen haben und danach zusammen auf ein Bier oder einen Saft gegangen sind. Es ging um die Freude an der Kreativität und die Gaudi danach. Es ging nicht um das Perfekte, um die Erfolge. Ich hab mich so richtig gefühlt, so als hätte ich einen Platz gefunden. Heute stehen da fesche, großteils heteronormative Wohlstandskids, welche aalglatte Texte schreiben, um einem linksliberal-bekehrten Publikum Themen vorzupredigen, welche ohnedies Konsens sind, in einer Metrik und Machart, die sich von den restlichen Beiträgen nicht unterscheidet. Da würde ich mich heute nicht mehr hintrauen. Dort fühle ich mich nicht mehr wohl.
Allen, die sich selbst auf einer Bühne probieren wollen, rate ich es, dass sie Bühnen finden, auf denen sie sein können, wer sie sind. Das können vereinzelt Poetry Slam-Bühnen sein, das können Open-Mics sein, das können irgendwelche Talent-Wettbewerbe in irgendeinem Kaff in Hintertupfing sein, das kann die Regional-Theaterbühne sein, das kann ein Rhetorik-Seminar auf der Uni sein, ihr wisst was ich meine. Es geht niemals um den Applaus oder um das Prestige, das man erntet. Die Leute, die einem applaudieren, bewerten vielleicht deinen Auftritt, starren dich an oder jubeln dir zu. Aber sie leben nicht in deiner Haut. Die müssen nicht zufrieden mit deinem Auftritt sein. Selbstzufriedenheit ist immer ein gutes Ziel. Ehrlich zu sich sein, im Text, im Vortrag, im Umgang mit Freude oder Enttäuschung danach. Perspektiven erweitern. A Gaudi haben. Nicht die Geduld verlieren. Niemand stellt sich auf die Bühne und ist Profi. Es braucht Übung, Erfahrung, Erlebnisse. Grundsätzlich: Sich einfach nix scheissen. Wos soid scho passian?
Mai 2024 Die Fragen stellte Margarita Puntigam-Kinstner
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Scheee – Text und Musik: Anna-Lena Obermoser / Produktion 1. Grazer Lesebühne
Anna-Lena Obermoser (*1996) ist Sozialarbeiterin und Spoken-Word-Poetin. Sie lebt in Graz. Gebürtig aus dem Oberpinzgau. Sie schreibt Texte und Songs im Dialekt. Mit markanter Stimme, Dynamik in der Performance, Energie, Ehrlichkeit, Pathos und verstecktem Witz.
»Für den Dialekt entscheide ich mich eher unbewusst«
Katharina J. Ferner lebt als Poetin und Performern in Salzburg. Morgenschtean-Leser:innen kennen sie aus der Redaktion, die Mitarbeit bei Ö.D.A. hat sie motiviert, selbst im Dialekt zu schreiben. Derzeit schreibt sie als Writer in Residence in Lettland.
Katharina J. Ferner (Foto: Mark Daniel Prohaska)
Sprache und Sprachklang sind dir wichtig, nicht nur in deiner Lyrik, sondern auch in deiner Prosa. Du bezeichnest dich deswegen auch ganz bewusst nicht als Autorin, sondern als Poetin. Wann hast du die Lyrik für dich entdeckt – als Lesende und auch als Schreibende?
Allerdings, ich glaube jedoch auch dran, dass Sprache und ihr Klang in der Prosa wichtig sind. Mir ist es aber ein Anliegen, durch die Positionierung der Poesie zu bewusster Präsenz zu verhelfen. Gedichte haben mich schon seit der Schulzeit begleitet und interessiert. Ich denke da an Else Lasker-Schüler ebenso wie an Mascha Kaléko oder später Uljana Wolf. Geschrieben habe ich sie damals auch schon, aber ihre Eigenständigkeit haben sie vermutlich erst durch die Arbeit am ersten Lyrikband bekommen.
In einem Essay im Wespennest schreibst du, dass du durch deine Mitarbeit bei der Ö.D.A. und den Kontakt zu Dialektautor:innen auch selbst begonnen hast im Dialekt zu schreiben.
Wie kam das? Kannst du dich da noch an einen zündenden Moment erinnern bzw. an deine ersten Schreibversuche im Dialekt?
Einerseits setzt die ständige Beschäftigung mit verschiedenen Dialekten auf ganz natürliche Weise den Prozess in Gang, dass man die eigene Mehrsprachigkeit genauer unter Beobachtung stellt. Andererseits gab es konkrete Motivationen, wie das beständige Nachhaken von Andreas Plammer, wann ich denn nun einmal etwas im Dialekt schreiben würde. Das stetige Einhören durch die Lesereihe „Anno Dialekt Donnerstag“ und der Besuch unzähliger „Dritte Hand“-Konzerte haben mich auf dem Weg begleitet. Letztendlich wagte ich dann wohl durch die Methode der Gegenüberstellung von Dialekt und Hochdeutsch, wie es Michael Stavarič in seinem Gedichtband „in an schwoazzn kittl gwicklt“ macht, den entscheidenden Schritt.
Mittlerweile hast du neben zwei Romanen auch zwei Lyrikbände veröffentlicht. Im ersten mit dem Titel „Nur einmal Fliegenpilz zum Frühstück“ (Limbus 2019) spielt der Dialekt eine zentrale Rolle, aber auch in deinem zweiten Lyrikband „Krötentage“ (Limbus 2022) finden sich Dialektgedichte. Auch für die Salzburger Krone dichtest du in Hochdeutsch und im Dialekt. Wann entscheidest du dich für den Dialekt und wann für Hochsprache?
Für den Dialekt entscheide ich mich eher unbewusst, außer es ist im Vorhinein klar, dass es zwei Sprachversionen geben soll, wie in den Gedichten für die Salzburger Krone.
Viele junge bzw. neue Dialektautor:innen sehen es als große Herausforderung, den eigenen Dialekt in Schrift zu übersetzen. Wie ging es dir da am Anfang? Bzw. hast du Tipps für Autor:innen, die gerade im Dialekt zu schreiben beginnen, worauf sie achten sollen?
Bei der Verschriftlichung denke ich erst einmal daran, dass ich selbst das Geschriebene wieder lesen oder vorlesen können muss. Später erst achte ich auf Einheitlichkeit oder aber auf bewusste Brüche. Gerade bei häufigen Wörtern wie „oiwei“ oder „ollewei“ variiere ich je nachdem, zu wem ich gedanklich spreche. Außerdem ist handschriftliches Notieren für den Anfang wesentlich einfacher, einfach weil da kein automatisches Wörterbuch eingreift und man verschiedene Versionen schnell visualisieren kann. Möglicherweise bin ich da auch altmodisch.
Du reist gerne. Wie ist das denn, wenn du in Österreich, in der Schweiz oder in Deutschland unterwegs bist? Sind es auf deinen Reisen auch die Dialekte, die dich interessieren?
Ja, es ist eigentlich unwesentlich, in welchem Land ich unterwegs bin. Sprache interessiert mich, Dialekt insbesonders, weil es darin oft noch mal eine tiefere Ebene zu entdecken gibt.
Im Moment bist du gerade als Writer in Residence in Lettland. Wie geht es dir mit der lettischen Sprache? Wird etwas von ihrem Klang in deine Gedichte einfließen – oder ist dir diese Sprache dann doch zu fremd?
Lettisch kann ich zum aktuellen Zeitpunkt noch schwer durchschauen. Dass früher oder später irgendetwas davon in meine Gedichte einfließen wird, ist ziemlich wahrscheinlich.
Mai 2024 Die Fragen stellte Margarita Puntigam-Kinstner
»Das richtige Maß zu finden, ist eine Herausforderung«
Vor einem Jahr erschien Eva Lugbauers Dialektlyrikband »faschaun farena fagee« nicht nur als Buch, sondern auch – vertont vom Mostviertler Duo »zoat« – als CD.
Welche Dialekte haben dich geprägt und wo würdest du deinen Dialekt heute einordnen?
Geprägt hat mich das Mostviertlerische – ein Dialekt, den ich eigentlich nicht besonders schön finde, aber die Muttersprache kann man sich naturgemäß nicht aussuchen. Lautmalerisch hat er allerdings seine Reize und es gibt einzelne Wörter, die mir mittlerweile sehr ans Herz gewachsen sind. Dschamsdara, zum Beispiel, ein Liebhaber – kommt leider gar nicht vor in meinem Gedichtband. Oder hinich, kaputt. Auch sehr gut: baganschgal, leichte Schuhe. Nicht zu verwechseln mit dem bandschal, natürlich, der unverbindlichen Liebschaft. Das schlichte schiach ist kein schönes Wort an sich, aber es sagt so viel und kein hochdeutscher Ausdruck kann alle Facetten dieses Worts abdecken.
Dein Debütroman »Und am Ende stehlen wir Zitronen« erschien 2018 im Wortreich Verlag,. vor einem Jahr kam dein erster Dialektlyrikband »faschaun farena fagee« in der Literaturedition NÖ heraus. Hast du immer auch schon Lyrik im Dialekt verfasst?
Nein, vor diesem Gedichtband habe ich überhaupt nichts im Dialekt geschrieben, auch keine SMS oder andere Nachrichten, die schreibe ich nach wie vor nicht im Dialekt. Dialekt war für mich zum Sprechen da. Alles hat in einem verzweifelten Moment begonnen: Mir ist nichts eingefallen, über das ich im sogenannten Hochdeutsch schreiben wollte – eine Blockade, wenn man so will. Also habe ich meine Gemütslage im Dialekt aufs Papier gefetzt. Das war das Samenkorn und die Pflanze ist dann gewuchert.
Wann entscheidest du dich für den Dialekt und wann für Hochsprache?
Nach Gefühl und durch Experimentieren. Jedes neue Werk verlangt nach einer neuen Sprache. Die zu finden ist nicht immer einfach, auch Hochdeutsch hat ja viele Sounds und es braucht manchmal Zeit, bis ich den richtigen finde.
Du arbeitest seit Jahren mit dem Duo »zoat« zusammen, die deine Texte vertonen.Wie hat sich diese Zusammenarbeit ergeben?
Wir haben uns zufällig bei einem Auftritt kennen gelernt. Die gemeinsame Arbeit und die Zeit, die wir zu dritt verbracht haben, um an der Musik und der Performance zu feilen, habe ich sehr genossen. Als Autorin arbeitet man ja sonst oft alleine in der Schreibstube. Hier die Köpfe von drei Künstlerinnen zu verbinden und gemeinsam an einem Werk zu schaffen, war sehr inspirierend und schön.
Morgenschtean-Abonnent:innen haben den Schaffensprozess deines neuen Lyrikbandes ein wenig mitbegleiten dürfen, bereits 2021 gab es erste Kostproben daraus zu lesen. Wie lange hast du an den Gedichten insgesamt gearbeitet?
Am Anfang sind ein paar Gedichte sehr schnell rausgesprudelt, daraus hat sich das Konzept ergeben. Beim Rest war es, als wäre alles schon da, und ich muss es nur noch freilegen. Das ist schnell gegangen, war in wenigen Wochen getan. Die Feinarbeit, das Abschleifen, Feilen an den Worten und das Anordnen der Gedichte hat dann noch etwas länger gedauert.
Gibt es Dialektliteratur (oder auch -musik), die dich besonders anspricht – oder liegen auf deinem Nachtkästchen hauptsächlich Werke in Standardsprache?
Im Dialekt kann man mehr die Sau rauslassen. Das macht Dialektliteratur aber auch anfällig dafür, zu ordinär oder zu emotional zu werden. Hier das richtige Maß zu finden, ist eine Herausforderung und es gibt nicht viel Dialektliteratur, die ich wirklich gut finde. Aber, wenn ich einen Namen nennen soll, dann H.C. Artmann. Seine Dialektgedichte sind kleine Meisterwerke. Sie liegen zwar meistens nicht auf meinem Nachtkästchen, haben aber einen fixen Platz im Bücherregal.
Du gibst auch Workshops für Dialektlyrik. Welchen Ratschlag würdest du jungen Autor:innen mit auf den Weg geben, die im Dialekt schreiben möchten, aber es noch nie versucht haben?
Egal ob im Dialekt oder nicht im Dialekt: Folg der Lust. Fühl den Sog. Und schreib. Selbstzensur kommt später.
Mai 2024 Die Fragen stellte Margarita Puntigam-Kinstner
Eva Lugbauer: FASCHAUN FARENA FAGEE Dialektlyrik, mit Illustrationen von Katharina Zenger Literaturedition NÖ, 2023 ISBN: 978-3-902717-69-6 192 S. | € 24,00
Die CD »faschaun farena fagee« – unterlegt mit Melodien des Mostviertler Ensembles »zoat « –ist bei der Volkskultur Niederösterreich erschienen. Eine Leseprobe sowie einen QR-Code zur Hörprobe finden Sie in unserer 👉aktuellen Ausgabe.
Die Mostviertler Lyrikerin Christine Tippelreiter im Interview
Du bist in Melk geboren und im Mostviertel aufgewachsen. Wann hast du im Dialekt zu schreiben begonnen und warum?
Ich habe 1985 in Schriftsprache zu schreiben begonnen. Meinen Bekannten hat das gefallen und sie haben zu mir gesagt: »Schreib auch was in Mundart, wir wollen wissen, wie sich das bei dir anhört.« Mit meinem ersten Mundartgedicht »A guade Nochd« bin ich 1990 in OÖ. die Siegerin beim Wandl-Preis geworden.
Deine Dialektlyrik ist kurz und prägnant, vor allem aber sprachverspielt. Gab es da Vorbilder bzw. Werke, die dich beeinflusst haben?
Ich habe viele Jahre nach meinem eigenen Stil gesucht, weil mir die üblichen gereimten Mundartgedichte nicht gefallen haben. Was ich suche, ist meine eigene Kreativität. Das Spiel mit der Sprache macht mir einfach Freude und Spaß, weil ich die Sprache liebe.
In deinem neuen Lyrikband »fliagn kinna« geht es in vielen Gedichten darum, selbstbewusst durchs Leben zu gehen, nicht immer das zu tun, was andere von einem verlangen. Ist diese Thematik immer schon Motor deines Schreibens gewesen?
Mit 30 habe ich beschlossen: »ich will ich sein – lebenslang unterwegs auf der Suche nach mir selbst.« So hat mein erstes Gedicht gelautet, das mir wirklich gefallen hat, und ich habe gedacht: Das soll mein Schreibstil sein. In Mundart habe ich geschrieben: »scho mei gaunz Lebm laung suach i, owa hiazt woaßes, i suach mi«.
Du schreibst auch von der Kriegsgeneration – über das Grauen, das damals viele hinuntergeschluckt haben. Derzeit tobt wieder ein Krieg in Europa, auch die Bilder aus dem Gazastreifen lassen nicht kalt.
Ich erteile mir zeitweise Nachrichtenverbot, weil ich die Neuigkeiten aus den Kriegsgebieten nicht aushalte. Ich bin sprachlos, wütend und ohnmächtig. Viele haben im 2. Weltkrieg ihre Söhne verloren. Wenn ich denke, dass mein Sohn und mein Enkel in den Krieg ziehen müssten, ich würde verrückt werden.
Du hältst Momente nicht nur in Gedichten fest, sondern fotografierst auch. Von deinen Motiven kann man sich in deinen Gedichtbänden ein Bild machen, es gab aber auch schon Ausstellungen. Wann entscheidest du dich für die Kamera und wann für den Stift?
Mit der Kamera bin ich tagsüber unterwegs. Meine Freundin sagt oft: »Was du alles siehst!« Dichten kann ich besser in der Nacht, da gibt es keine störenden Geräusche, kein Telefonläuten, keinen überraschenden Besuch, etc. Ich bin nachts empfindsamer und blicke nach innen, das Erlebte verdichtet sich dann. Vieles hätte ich nicht geschrieben, wenn ich nicht nachtaktiv wäre.
Mir gefällt auch das Kleid deines neuen Gedichtbands, das kräftige Rot auf dem weißen Hintergrund. Die Neugier hat mich ins Impressum blicken lassen, wo ich festgestellt habe, dass die Künstlerin des Titelbildes »Brennende Rose« mit dir verwandt ist, oder?
Die brennende Rose ist von meiner Enkelin Selina gemalt, sie war damals vier Jahre alt. Ich mag es, wenn Kinder noch nicht gegenständlich zeichnen können, sie malen aus ihrem Innersten. Die Schneefrau auf der Rückseite ist eine Zeichnung meiner Tochter Manuela, als sie ungefähr genauso alt war. Die Mundart soll an unsere Kinder und Enkel weitergegeben werden, deshalb habe ich die Werke ausgewählt.
Du bist Leiterin und Gründerin der Autorengruppe »Schriftzug 3250« sowie stellvertretende Vorsitzende der Ö.D.A. In deiner Region hast du schon viele Lesungen initiiert, auch Workshops an Schulen hast du schon abgehalten. Wie wichtig ist dir der Austausch in der Region – anderen Autor:innen, mit der Jugend und auch anderen Kunstschaffenden?
In der Dichtkunst gibt es kein Alter, nur eine Reife der Persönlichkeit. Beim »Schriftzug 3250« ist eine 80jährige, sie schreibt kraftvoll und ausdrucksstark. Dann wieder schreiben Jugendliche bei meinen Workshops mit einer Lebensweisheit, die mich staunen lässt. Ich habe in Deutschland, Südtirol und in jedem Bundesland in Österreich gelesen. Meine Mostviertler Mundart versteht man überall, ich frage immer bei den Zuhörer:innen nach.
Der Austausch mit Kunstschaffenden ist sehr bereichernd für mich. Ich besuche gerne Gemäldeausstellungen und fahre z.B. nach Wien, Linz oder Salzburg. Vor einiger Zeit wollte ich eine Lesung mit einer Komponistin veranstalten, leider musste unser Auftritt wegen Corona abgesagt werden. Wir werden das aber sicher nachholen.
Mai 2024 Die Fragen stellte Margarita Puntigam-Kinstner
Ein Schreibtisch mit einem riesigen Bildschirm – das ist das Erste, was ins Auge sticht, wenn man das Zimmer von Traude Veran betritt. Im Jänner hat die Schriftstellerin ihren neunzigsten Geburtstag gefeiert, jetzt besuche ich sie in ihrer freundlichen kleinen Wohnung im Seniorenwohnheim auf der Wieden. Eine prachtvoll blühende Orchidee am Fenster, auf dem Bett liegt schon das Plakat für die Literaturvitrine bereit, die Veran gemeinsam mit einer anderen Bewohnerin jede Woche neu gestaltet. »Ich schaue, dass am Abend immer alles bereitliegt«, verrät mir die Autorin schmunzelnd. »In meinem Alter weiß man ja nie, was der nächste Tag bringt.«
Wir nehmen an einem Tisch Platz, auf dem eine elegante schwarze Teekanne bereitsteht. Verans Hände zittern ein wenig, als sie mir vom Tee einschenkt. Dass sie ihre zweite Leidenschaft, das Fotografieren, leider aufgeben musste, erzählt sie mir. »Für meine Lichtbildvorträge suche ich mir das Material jetzt meist aus der Bücherei zusammen. Die hat ja zum Glück viel zu bieten.« Manchmal gestaltet Veran noch einen solchen Vortrag – für ihre Mitbewohner:innen und andere Interessierte. Im Haus Wieden freut man sich über ihr Engagement. »Dass ich mich gern mit dem Grätzl, in dem ich lebe, auseinandersetze, hat begonnen, als ich noch im Haus Rossau in der Seegasse gewohnt habe. Dort habe ich von meinem Fenster aus direkt auf den jüdischen Friedhof geblickt. Ich wollte damals unbedingt mehr über seine Geschichte herausfinden.« Aus Verans privaten Recherchen wurde schließlich ein Buch. »Das steinerne Archiv – Der Wiener jüdische Friedhof in der Rossau« [1] erschien erstmals 2002 im Mandelbaum Verlag, vier Jahre später folgte die überarbeitete Zweitauflage.
Auf beinahe dreißig literarische Veröffentlichungen kann Veran zurückblicken, außerdem auf zahlreiche Fachpublikationen, Sachbücher und Übersetzungen. Breitet man ihre Bücher auf einem großen Teppich aus, so wie ich das gestern getan habe, fällt sofort die Vielfältigkeit und auch die Experimentierfreudigkeit der Autorin auf. Mein Koffer ist mittlerweile ziemlich schwer – zu Hause in Graz will ich mich nämlich näher mit Verans Werk befassen. Heute jedoch möchte ich Traude Veran persönlich kennenlernen. Es ist nicht nur die Schriftstellerin, die mich interessiert, sondern auch die Psychologin und Sprachwissenschaftlerin, die für zwei Errungenschaften verantwortlich war, die mein eigenes Berufsleben als Pädagogin geprägt haben. Erstens: Das Integrationsgesetz für Schulen aus dem Jahr 1993, an dem sie federführend mitwirkte. Zweitens: Die Rechtschreibreform, die 1996 in ihrer ersten Form umgesetzt wurde, und bei deren Einführung sie sich beteiligte.
Die Kraft der Worte
Wenn du 1934 als Mädchen zur Welt kommst, ist dein Weg so gut wie vorgezeichnet. Deine gesamte Erziehung dient nur einem Zweck: Du sollst einen braven Mann finden, am besten eine gute Partie. Traude Verans Kindheitsjahre fielen in die Jahre der Nazi-Ideologie. Der große, der abscheuliche Krieg, der die Welt entmenschlichte. Vielleicht, denke ich, waren die fiktiven Geschichten ein bisschen wie ein unbeobachteter Schlupfwinkel, in den sich die kleine Traude zurückzog. Doch das Mädchen behält seine Phantasie nicht für sich, es lässt die anderen Kinder teilhaben. »Die Stimmung in den Luftschutzkellern war eine sehr bedrückende. Jeder hatte Angst und die Kleinen haben natürlich viel geweint. Meine Geschichten haben die Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelenkt. Die Kinder sind an meinen Lippen gehangen, dafür waren mir die Mütter dankbar. Ich weiß nicht, ob den Erwachsenen meine Geschichten genauso gut gefielen wie den Kindern, aber sie haben mir aufmerksam zugehört. Vielleicht wollten sie aber auch einfach nur sichergehen, dass ich keinen Blödsinn erzähle«, erinnert sich Veran lächelnd.
Traude Veran (geb. Gertraud Kotrc) und ihre Mutter sind auf der Flucht vor den Bomben. Von Wien geht es zuerst nach Vießling in der Wachau und dann nach Krems, anschließend flüchten die beiden weiter nach St. Johann/Pongau. Das erste Gedicht, an das sie sich erinnert? »Das entstand während ich auf einem Lastwagen saß, auf unserer Flucht, mit den Tieffliegern im Rücken. Ein Gedicht über einen blühenden Apfelbaum war das. Ein schönes Gedicht eigentlich. Das war wohl der Selbsterhaltungstrieb.«
Vielleicht hatte die Flucht am Ende etwas Gutes. Zwar habe sie sich anfangs in der Hauptschule in St. Johann furchtbar gelangweilt, da ihre Klasse in Wien schon wesentlich weiter gewesen sei, im Gegensatz zu ihrer Mutter habe die Schwester ihres Vaters ihr Talent jedoch erkannt. Ihre finanziellen Zuwendungen und ihr Zuspruch ermöglichten es schließlich, dass Veran die Ausbildung zur Sozialarbeiterin machen konnte.
Im Dienste der Benachteiligten
Nach ihrem Abschluss mit Diplom bewirbt sich die junge Sozialarbeiterin bei der Kriminalpolizei. »Ich wollte Polizeifürsorgerin werden, aber ich war um zwei Zentimeter zu klein für den Polizeidienst. Dass ich auch anderswo keine freie Stelle gefunden habe, hat schließlich dazu geführt, dass ich begonnen habe, Psychologie zu studieren. Das war ja eigentlich gar nicht so geplant.« Während des Studiums arbeitet Veran im psychologischen Labor einer Psychiatrie sowie auch, zwei Jahre lang, in der Privatpraxis einer Kinderpsychologin, wo sie die Arbeit mit legasthenischen Kindern kennenlernt. »Dort gefiel es mir sehr. Für meine Dissertation musste ich zu Forschungszwecken allerdings wieder zurück in den psychiatrischen Bereich. Unter anderem habe ich auch in Steinhof geforscht, und zwar mit Schlaganfallpatient:innen, deren Sprachzentrum so beeinträchtigt war, dass man sie auf den ersten Blick für minderbegabt gehalten hätte. Wenn man sich aber Zeit nahm, war offensichtlich, dass sie intelligent waren und sich nur nicht artikulieren konnten.«
Diese Erfahrungen prägen die Studentin. Fortan wird sich Traude Veran für Menschen einsetzen, denen aufgrund einer Beeinträchtigung jene Chancen verwehrt bleiben, die für andere selbstverständlich sind. Doch ganz so geradlinig ist ihr Berufsweg nicht. »Nach meiner Promotion kam ich in einem Industriebetrieb unter. An und für sich hätte ich dort als Unterstützung des Prokuristen tätig sein sollen, es stellte sich aber bald heraus, dass ich die Allerletzte der Schreibkräfte war.« Veran schmunzelt. »Wahrscheinlich hatte man ein bisschen Angst vor meinem Doktortitel. Mein Mann und ich haben dann beschlossen, dass jetzt vielleicht die passende Zeit für mich sei, Mutter zu werden.«
Traude Verans Berufslaufbahn – sie ist ein Flickenteppich, wie der vieler Frauen ihrer Generation. Kaum wo angekommen, musste sie auch schon wieder aufhören. »Ich hatte ja bald zwei Kinder und dann noch zwei Großmütter sowie eine Urgroßmutter zu umsorgen, auch mein Mann brauchte mich sehr«, erinnert sie sich.
Veran (verh. Gertraud Schleichert) lebt mit ihrem Mann zehn Jahre in Deutschland. In dieser Zeit ist sie unter anderem auch Lehrbeauftragte an der Universität Konstanz. »Nach meiner Scheidung habe ich abermals nach einer Stelle gesucht, in Deutschland jedoch keine gefunden. Also habe ich geschaut, was es in Österreich für mich gibt.« Die Leitung der Pädagogischen Akademie in St. Pölten habe sie damals besonders interessiert. »Ich hätte die Stelle wohl auch bekommen, aber letztendlich scheiterte meine Bewerbung daran, dass ich kein Zeugnis darüber ablegen konnte, ein Instrument zu beherrschen. Und mein Klavierspiel lag damals ja auch schon 20 Jahre zurück.«
Veran schenkt uns beiden vom Tee nach und erzählt mir von ihrer ersten Zeit im Burgenland. »Damals haben sie Schulpsychologinnen gesucht. Im Waldviertel, in Vorarlberg und im Burgenland waren Stellen ausgeschrieben. Vorarlberg hätte mich durchaus gereizt, aber das Schifahren konnte ich mir als alleinerziehende Mutter nicht mehr leisten, und ohne den Schisport macht Vorarlberg doch irgendwie keinen Sinn. Im Waldviertel wiederum war es mir zu kalt.« Sie lacht. »Ich hätte mich auch für das Nordburgenland entscheiden können, aber ich habe mich sofort ins Südburgenland verliebt.«
Ein Neuanfang als Schulpsychologin also. In Oberwart, im Jahr 1976. »Die Kollegin an meiner Seite war damals noch Berufsanfängerin. Das war mein großes Glück. Erstens sah sie die Dinge schon ein bisschen anders, und zweitens brachte sie den Enthusiasmus einer Anfängerin mit. Wir waren ja nur zu zweit, ich bekam damals noch den Bezirk Jennersdorf dazu, meine Kollegin Güssing.« Die Idee, eine Integrationsklasse zu starten, habe dann bei einem Pfarrfest ihren Anfang genommen. »Auf besagtem Fest lernte ich die Sonderpädagogin Brigitte Leimstättner kennen. Ihr Freund war der burgenländische Schriftsteller Peter Wagner. Mit den beiden entstand schließlich eine Freundschaft fürs Leben. Jedenfalls haben wir uns auf diesem Pfarrfest über die Integration von behinderten Kindern in Regelschulen unterhalten, diese Klassen gab es in anderen Ländern ja schon. Und dann ergab sich schnell der Wunsch, sich das genauer anzuschauen und auch etwas in diese Richtung zu wagen.« Freilich, die Eltern der betroffenen Kinder habe man schnell für die Idee gewinnen können. Aber die anderen überzeugen? Das war in Oberwart Anfang der 1980er-Jahre eine Herausforderung. »Selbst ich galt damals nicht als ›normale‹ Mutter. Ich war geschieden; während meine Tochter bei mir lebte, ist mein 15-jähriger Sohn in Deutschland geblieben. Das haben damals viele nicht verstanden. Eine unserer Mitstreiterinnen wiederum war mit einem Nordafrikaner verheiratet. Andere Sprachen war man im Burgenland gewohnt, aber es ging doch immer auch darum, woher man kam.«
Wie schafft man es gegen alle Vorbehalte der Menschen und der Politik, die erste Integrationsklasse zu eröffnen – und am Ende sogar dafür zu sorgen, dass ein Gesetz verabschiedet wird? Traude Veran lächelt verschmitzt. »Wir haben damals einen Schulversuch ausgearbeitet. Anfangs noch sehr laienhaft, haben uns selbst mit unseren Vornamen vorgestellt. Neun Mal mussten wir den Plan insgesamt umschreiben, wobei man wissen muss, dass wir das Papier am Ende immer wegen Formfehlern zurückbekamen. Irgendwie hatten wir da schon das Gefühl: Man will das einfach nicht haben. Zum Glück war der damalige burgenländische Landeshauptmann sehr offen für neue Ideen. Und unsere Idee empfand er als besonders merkwürdig. Also hat er sich das angeschaut. Nachdem er z.B. ein hörbehindertes Kind kennen gelernt hatte, das obendrein als verhaltensauffällig galt, war er überzeugt. Also hat er sich für unsere Idee stark gemacht.«
Von der ersten Integrationsklasse bis zur Rechtschreibreform
1984 wurde in Oberwart die erste Integrationsklasse eröffnet. An dem Projekt beteiligten sich insgesamt zwei Psychologinnen, zwei Lehrerinnen sowie eine Physiotherapeutin. Und natürlich die Kinder und ihre Eltern. Bereits 1985 fand dann das erste Symposium statt, mit insgesamt 300 Besucher:innen. »Das haben eine Wirtin und eine Servierkraft für uns organisiert. Vor allem die Servierkraft muss ich hier erwähnen, sie hatte es nie leicht im Ort, war obendrein mit einem Afrikaner verheiratet. Da begegneten ihr allerlei Vorurteile, und ein behindertes Kind hatte sie dann auch noch. Die Organisation des Symposiums hat ihr Aufwind gegeben, sie hat sich richtig reingehängt, kommuniziert, Quartiere gebucht … Später dann führte sie mit ihrem Mann sehr erfolgreich eine Disco.« Bis zur Umsetzung des Integrationsgesetzes sollte es allerdings noch dauern. »Das Problem war ja vor allem, dass zu dieser Zeit die Unterrichtsminister ständig gewechselt haben. Kaum waren wir mit jemandem in guten Gesprächen, war er oder sie auch schon wieder weg«, erinnert sich Veran.
1993 war es dann endlich soweit. Die schulische Integration im Grund- und Sekundarschulbereich wurde gesetzlich verankert. Zwei Jahre später begann ich selbst als junge, noch auszubildende Pädagogin in einem Wiener Kindergarten zu arbeiten. Die erste Gruppe, in der ich mitarbeitete, war bereits »integrativ geführt«. 1995 fühlte sich das für mich an, als hätte es das immer schon gegeben. Dabei war es damals noch nicht einmal üblich, Kinder unterschiedlichen Alters in ein und derselben Gruppe unterzubringen. Viereinhalb Jahre später, Anfang 2000, wechselte ich in den Volksschulhort. Mittlerweile waren Integrationsgruppen der Standard. Was jetzt neu für mich dazukam: Um den Kindern bei ihren Hausübungen helfen zu können, brauchte ich wieder den Duden. Die große Rechtschreibreform, die 1996 eingeführt wurde – auch an ihr hat Traude Veran einsatzfreudig, aber leider ohne große Gestaltungsmöglichkeiten, mitgewirkt. »Meine Zeit im Burgenland endete, als meine Mutter an Demenz erkrankte. Irgendwann war klar, dass ich sie nicht mehr so lange allein lassen konnte, also musste ich zurück nach Wien«, erinnert sich Veran.
Wieder eine neue Station – und wieder wird Veran ihre Fußabdrücke hinterlassen. Eine zufällige Begegnung mit Prof. Ernst Pacolt und ihre Frage, wie es denn mit der Rechtschreibreform vorangehe, bewirkte, dass man sie selbst mit ins Boot holte. »Ich hatte durch mein Studium der Sprachpsychologie und Linguistik ja eine Ahnung von der Materie, und durch meine Arbeit mit Kindern, die eine Rechtschreibschwäche hatten, konnte ich auch den praktischen Aspekt gut einschätzen.« Heute meint Veran schmunzelnd: »Hätte es die DDR damals noch länger gegeben, wäre die Reform wahrscheinlich schneller durchgesetzt worden. In der Schweiz und in der DDR war man der Reform gegenüber nämlich am meisten aufgeschlossen.«
Die Literatur der Traude Veran
Kann man die Schriftstellerin von der Psychologin und Sprachwissenschaftlerin trennen? Jedes Werk sollte natürlich auch immer für sich stehen dürfen – ohne dass Lesende sich mit der Biografie der Verfasserin auseinandersetzen müssen. Verans Gedichte sind selbsterklärend. Da gibt es die »Pendlerlieder«[2], die in jener Zeit entstanden, als Traude Veran im Burgenland arbeitete. 2005 erschien »Gras gesät auf den Asphalt. Gedichte aus dem Berufsleben«[3]. »Das war dann schon zu einer Zeit, als mir ein bisschen die Luft ausging«, gesteht Veran. Dazwischen veröffentlicht sie unter anderem Gedichte über die Liebe (»Efeublüten«[4]), Gedichte aus Namensanagrammen (»Letternfilter«[5]) oder auch Collagen aus der Tageszeitung »Der Standard« (»standART«[6]). 1997 erscheint »So gern ich Wien hab – an sich«[7], ein Jahr später folgt »Vertrackte Kontakte. Limericks aus Wien«[8]. Beide Bände, die von Hermann Serient illustriert wurden, sind ein wunderbar sprachverspielter, aber auch sozialkritischer Streifzug in das Wien am Ende des vorigen Jahrtausends. Anfang der 1990er-Jahre gründet Veran gemeinsam mit Petra Sela die Edition Doppelpunkt, in dieser Zeit entstehen auch erste literarische Einzelpublikationen.
Verans Sprache wird selbst im Dialekt niemals wirklich derb. »gee nebm mia und sei schdüü / i biddi sog nix / ollaweu de rederei / gee nebm mia üwad schdrossn /und schau ob ka auto kummd / und hoidmi zuck waun ans kummd« beginnt eines ihrer Gedichte in »So gern ich Wien hab – an sich«. Es sind Gedichte, deren Inhalt sich erst nach und nach entfaltet – man weiß nicht immer gleich, was die nächste Zeile bringen wird. Da geht es etwa um die Angst, fortgeschickt zu werden. Um die Einsamkeit, wenn man nach Hause kommt und über die Patschen fliegt, die einem am Morgen von den Füßen gerutscht sind. Aber auch um die Wiener Gassennamen geht es, und auch politische Gedichte finden sich in dem Band, der nicht nur neue, sondern auch die älteren Texte von Veran zusammenfasst.
1998 folgt der Band »Mein Gott Österreich. politische Lyrik und subversive Monologe«[9]. In dem Buch findet sich unter anderem eine – 1983 verfasste – Antwort auf Ernst Jandls »schtzngrmm«. Nicht lustig sei es für sie, nicht lautmalerisch, meint Veran in ihrer Replik »es erinnert mich an die sauberen knochen / die wir weggeschleppt haben / aus dem schubertpark / aus dem aushub von splittergräben«. 1999 dann die nächste Sammlung mit politischen Gedichten (»Gegenstimme«[10]). Veran nimmt sich in ihrer Lyrik kein Blatt vor den Mund. Sie schreibt dagegen, »wenn zackige lieder / einigkeit demonstriern«[11], auch macht sie sich Gedanken über Unterschiede im Sprachgebrauch, in dem 1988 zwar etwa schon von »UNSEREN jüdischen MITBÜRGERN« die Rede war, aber noch immer von »behinderten MENSCHEN«, während man »im Zusammenhang mit dem Adjektiv SLOWENISCH« die Ausdrücke »MITBÜRGER, MITMENSCH oder MENSCH« in Kärnten kaum hörte[12]. Die meisten von Verans politischen Gedichten sind noch immer noch von großer Relevanz – gerade heute, gerade jetzt, wo wieder von der »politischen Mitte« gesprochen wird, der Veran bereits Weihnachten 1984 ein Gedicht widmete[13].
Der Dialekt bzw. die Wiener Färbung sind Teil von Verans Schreiben. Man findet sie in ihren frühen Gedichten ebenso wie in Publikationen der jüngeren Zeit. (2021 etwa übersetzte sie unter dem Titel »Radln auf Wegaln«[14] Pitt Büerkens »Pättkesfahrt«[15] aus dem Plattdeutschen ins Wienerische.) Wie sie überhaupt dazu gekommen sei, im Dialekt zu schreiben? Traude Verans Augen blitzen mir begeistert entgegen. »Sagt dir The Worried Men Skiffle Group etwas? Als ich die damals das erste Mal hörte, hatte ich das Gefühl: Jetzt ist unsere Muttersprache auch eine echte Sprache. Für mich war diese Gruppe ein Stern am Himmel!«
Am Ende meines Besuches holt Veran einen dicken Ordner aus dem Regal. Gemeinsam reisen wir in das Jahr der ersten Morgenschtean-Herausgabe (1989) und noch ein bisschen weiter zurück. »Ich weiß gar nicht, wie ich damals von der Gründung der Ö.D.A. erfahren habe. Ob aus dem Fernsehen oder vielleicht doch von Erich Schirhuber. Ich habe von 1986 an drei Jahre lang an den Arbeitstagen der Mundartdichter in Kirchbach/Kärnten teilgenommen, ich kannte die Szene also ein wenig. An die Veranstaltungen dort denke ich besonders gerne zurück. Die Lesungen fanden auch auf Bauernhöfen statt und waren gut besucht, und man begegnete vielen anderen Menschen, die sich für die Dialektliteratur engagierten. Ich habe ja dann auch schon recht früh begonnen, im Morgenschtean meine Dialektgedichte zu publizieren.«
Sich nicht bremsen lassen
Traude Veran hat es stets gereizt, Neues auszuprobieren. Ihre Lyrik hat sich immer wieder gewandelt und neu erfunden; auch mit dem Medium Hörbuch[16] hat sich die Autorin auseinandergesetzt. Mitten unter diesen vielfältigen Publikationen findet sich auch ein schmaler rosa Gedichtband. In »Cindy.Erinnerungen«[17] widmet Traude Veran ihre Gedichte ihrer verstorbenen Hündin.
In Verans Schreiben darf alles nebeneinander existieren. Da hat das Private neben dem Politischen Platz. Das persönliche Tagebuch neben dem preisgekrönten Gedichtband. Das gebundene Sachbuch, das in einem namhaften Verlag erschienen ist, neben der selbst gedruckten Broschüre. So manches Mal blies ihr deswegen auch ein rauer Wind entgegen. »Manche sehen ja auf einen herab, wenn man Projekte selbst oder nur mit einem sehr kleinen Verlag verwirklicht. Aber auf diese Menschen darf man nicht hören, auch wenn es natürlich weh tut«, rät Veran. Sich nicht von den eignen Vorhaben abhalten lassen, das war immer schon Traude Verans Credo – egal, ob es um das Integrationsgesetz oder um ihre Literatur ging. Auch die Österreichische Haiku-Gesellschaft hat Veran mitbegründet; heute ist sie Ehrenmitglied.
Bei unserer Verabschiedung überreicht sie mir ihre letzte Publikation. Der schmale Haiku-Band »Das Chinesische Jahr«[18] mit der Nachdichtung alter chinesischer Weisheiten erschien voriges Jahr. Auch »Haiku schreiben – ein Weg der nie endet«[19] mit Silbenspielen und Versuchen über das Haiku von 1981-2021 ist gerade einmal vor einem Jahr erschienen.Danach folgten zwei weitere Publikationen. »Meine letzten«, wie Traude Veran verrät. »Das heißt aber nicht, dass ich aufhöre zu schreiben!«[20,21] Während der Fahrt über den Semmering krame ich in meinem Koffer. Ich habe Glück – neben mir sitzt niemand, so dass ich Verans Werke alle auf einmal hervorziehen kann. Vor allem ihre politischen Gedichte und ihre Wien-Limericks haben es mir angetan, aber auch die selbst gebundene Publikation »Wassertropfen, Wasserleitung, Wasserfall«[22] gefällt mir sehr – und das Vorwort entlockt mir mitten auf der Strecke ein so lautes Lachen, dass man sich nach mir umdreht. Als ich am Grazer Hauptbahnhof wieder aussteige, um in den Bus nach Hause umzusteigen, denke ich: Vielleicht sollten wir alle ein bisschen mehr sein wie Traude Veran und die Dinge selbst in die Hand nehmen. Wenn es etwas (noch) nicht gibt, von dem wir meinen, dass es die Welt ein Stück besser macht, können wir uns immer auch ein wenig selbst darum kümmern. Wie sagte Doris Lessing angeblich einst: »Whatever you’re meant to do, do it now. The conditions are always impossible.«
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Traude Veran: Das steinerne Archiv – Der Wiener jüdische Friedhof in der Rossau, Mandelbaum Verlag, Wien 2002, 20. Auflage 2006
Gertraud Schleichert: Pendlerlieder. Gedichte aus dem Burgenland. Mit Federzeichnungen von Hermann Serient. Edition Doppelpunkt, Wien 1993
Traude Veran: Gras gesät auf den Asphalt. Gedichte aus dem Berufsleben. Cornelia-Goethe-Verlag, Frankfurt am Main 2005
Gertraud Schleichert: Efeublüten. Gedichte über die Liebe 1953–1993. Mit Federzeichnungen von Ingrid Kerzina. Edition Doppelpunkt, Wien 1994
Gertraud Schleichert: Letternfilter. Gedichte aus Namensanagrammen von Gran Mama. Reihe „Ausser der Reihe“, Edition Doppelpunkt, Wien 1994
Gertraud Schleichert: standART. Collagen aus der Tageszeitung »Der Standard«. 30 Tagesseiten. Reihe »Ausser der Reihe«, Edition Doppelpunkt, Wien 1996
Traude Veran: So gern ich Wien hab – an sich. Wiener Klangfarben. Mit Federzeichnungen von Hermann Serient. Edition Doppelpunkt, Wien 1997
Traude Veran: Vertrackte Kontakte. Limericks. Mit Federzeichnungen von Hermann Serient. Uhudla Edition, Wien 1998
Traude Veran: Mein Gott Österreich. Politische Lyrik. Edition Doppelpunkt, Wien 1998
Traude Veran: Gegenstimme. Politische Lyrik und subversive Monologe. Edition Doppelpunkt, Wien 1999
ebd. S 54
ebd. S. 70/71
ebd. S. 55
Pitt Büerken, Traude Veran: Radln auf Wegaln. Pättkesfahrt im Wiener Dialekt. Österr. Haiku Gesellschaft, Wien 2022
Pitt Buerken: Pättkesfahrt. Kurzgedichte in japanischer Tradition auf Münsterländer Platt und Hochdeutsch. Agenda Verlag, Münster 2021
Traude Veran: Ich rede in den Zungen der Sprachlosen. Sprach-CD. edition lex liszt 12, Oberwart 2019
Traude Veran:Cindy. Erinnerungen an einen Hund. Fotos und Zeichnungen. Lesedition, Wien 1997
Traude Veran: Das Chinesische Jahr. Eine Nachdichtung. Mit Kalligrafen von YU FENG, Österreichische Haiku Gesellschaft, Wien 2023
Traude Veran: Haiku schreiben – ein Weg der nie endet, Rotkiefer, Berlin 2023
Regenlicht. Haiku und Ähnliches 2020-2023. ÖHG, Wien 2023
Claudia Brefeld und Traude Veran: Windböen und Schattenkühle. Haiga und Tan-Renga. Rotkiefer Verlag, Berlin 2024.
Traude Veran: Wassertropfen, Wasserleitung, Wasserfall – eine Publikation zum Jahr des Wassers 2003, Selbstverlag Haus Rossau, Wien 2004
Ronnie Rohrecker ist in Salzburg zur Welt gekommen und verfasst unter anderem Limericks. Im Sommer hat sier das traditionelle walisische Lied »Defaid William Morgan« in den Salzburger Dialekt übertragen und im Zuge unseres Online-Projekts »Österreich Hören« gemeinsam mit siers Freund*innen Liliana und Rave vertont.
Liebe*r Ronnie – Wie bist du eigentlich dazu gekommen, im Dialekt zu schreiben? Ich glaub, das Erste, was ich im Dialekt geschrieben hab, war eine Reihe von Limericks. Ich war da mit einer sehr lieben Freundin auf einer Alpenüberquerung und hab meinen Reiseführer zu ernst genommen, der behauptet hat, für (weitere) Bücher sei kein Platz im Rucksack und es sei sowieso viel geiler, sich mit den Leuten zu unterhalten, die mensch auf den Hütten trifft. (Spoiler Alert: Das ist was für Leute, deren Hirn pausenlos neue Eindrücke aufnehmen kann, da gehör ich absolut nicht dazu!) Die Entscheidung, kein Buch mitzunehmen, hab ich spätestens am zweiten Abend bereut und das Einzige, was mir geholfen hat, zwischendurch von den vielen erlebten Dingen ein bisschen runterzukommen, war, selbst was zu schreiben. Ich hab das dann auch während dem Gehen gemacht, da haben sich mit einem kurzen, klaren Rhythmus und dem fürs Merken sehr hilfreichen Endreim schnell Limericks als Wahlform meines Ausdrucks herauskristallisiert. Als kleine Herausforderung hab ich’s nach dem Englischen auch auf Schriftdeutsch versucht – das war ein ziemlicher Reinfall, alles hat irgendwie gestelzt und unnatürlich geklungen … Und dann bin ich auf Dialekt umgeschwenkt und plötzlich hat einfach alles gestimmt. Das hat so gut zusammengepasst, die Leichtigkeit, mit der sich die Wörter verbinden, die Mündlichkeit – Limericks sind ja vor allem da, um vorgetragen oder zumindest vorgelesen zu werden –, stellenweise auch die erforderliche Unverfrorenheit … Mir ist vor kurzem aufgefallen, dass ich auf Hochdeutsch vieles kann, aber glaubhaft schimpfen gehört wirklich nicht dazu! Und während ich so reimend und gelegentlich Obszönitäten von mir gebend über Bergbäche gehüpft bin, ist mir klar geworden, dass manche Texte nur in einer Sprache funktionieren, die einerm tatsächlich als Alltagssprache dient.
Du warst diesen Sommer in Wales, bist dort über ein Lied gestolpert und hast dich entschieden, es in den Salzburger Dialekt zu übertragen. Wie kam es dazu? Das Lied heißt im Original »Defaid William Morgan« also »Die Schafe des William Morgan« und handelt von einer rebellischen Schafherde, die ihren menschlichen Nachbar_innen in irgendeinem walisischen Ort das Leben schwer macht, weil kein Zaun sie halten und weder Hunde noch Polizisten sie davon abschrecken können, den Leuten ihre Gärten leerzufressen. Besonders schön finde ich, dass den Schafen nichts passiert, sondern die Auflösung des Ganzen ist, dass sie im Sommer ein paar Monate in den Bergen verbringen, wodurch den Menschen eine Verschnaufpause von den frechen Schafen vergönnt ist. Zwei Dinge für die ich mich sehr begeistern kann, sind revolutionäres Liedgut und Sprachen und jedes Mal, wenn ich länger als ein paar Tage wo zu Besuch bin, wo Leute eine andere Sprache sprechen als Deutsch oder Englisch, versuch ich, sie dazu zu überreden, mir ein neues Lied beizubringen. Diesen Sommer war das eben »Defaid William Morgan«, das eine sehr in die walisischen Sprach- und Befreiungskämpfe involvierte Freundin für mich ausgegraben hat.
Morgan William seine Schafön – Ronnie Rohrecker mit Liliana & Rave
Ich hab dann immer das Bedürfnis, die Lieder zu übersetzen, damit andere Menschen sie auch leicht verstehen und singen können. Meist mach ich das auf Standarddeutsch, weil ich da meinen ganzen Arbeiter_innenliederpathos auspacken kann, aber dieses Lied hat mich so sehr an die Hirtaliada meiner Kindheit erinnert, dass mir klar war, das wird nur in einer Dialektversion so richtig gut. Deswegen ist dann natürlich aus dem Schäfer William Morgan auch der Morgan William geworden.
Hast du Vorbilder? Ich mag es, wenn literarische Texte sich lesen, als wären sie eigentlich aus einer oralen Erzähltradition. Wenn sie so klingen wie Leute reden und wie Leute es auch verstehen, aber auch so, dass mensch merkt, dass da rhetorische Kniffe verwendet werden, die seit Generationen erprobt und verfeinert worden sind. Ich mag Bücher, bei denen mensch gar nicht anders kann, als sie vorzulesen, und so schreib ich auch gern, mit vielen Wiederholungen, Alliterationen, mit bewusstem Rhythmus … Eine Autorin, deren Stil ich sehr bewundere ist die Kanadierin Kai Cheng Thom. Letztes Jahr hab ich auch Jean Giono für mich entdeckt, als ich »Regain« gelesen hab. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, eine Person aus der Gegend, in der ich aufgewachsen bin, erzählt mir eine Geschichte – und das obwohl das Buch auf Französisch war! Naja und was richtig gute Dialoge angeht, komm ich immer wieder zurück zu A. A. Milne beziehungsweise Harry Rowohlt und ihren jeweiligen Versionen von »Winnie the Pooh« Die Übersetzung war die erste Audiokassette meiner Kindheit und wenn ich heute mal zur Entspannung wieder »Pu der Bär« lese, dann hör ich die Stimmen der Bewohner_innen des Hundertsechzig-Morgen-Walds immer noch so, wie von Harry Rowohlt eingelesen.
Und was liest du jetzt gerade? Ich hab mir diesen Herbst in einem kleinen Marathon fünf Bücher von Akwaeke Emazi reingeknallt. Dann hab ich alle Jane Austen–Romane wiedergelesen – scheinbar lass ich mich gern auf eine_n Autor_in komplett ein und komm erst wieder raus, wenn ich durch alle Werke durch bin, die mir gerade zur Verfügung stehen – und ein paar lang unveröffentlichte (und deswegen uneditierte) Schnipsel, die allerdings eher linguistisch als literarisch interessant waren … Und zuletzt war »Fun Home« dran, ein Comicband von Alison Bechdel, war allerdings nicht so fun, der Titel bezieht sich auf das Bestattungsunternehmen (Funeral Home) der Familie und es geht vor allem um die heimliche Homosexualität und den frühen Tod Bechdels Vaters. Also keine leichte Kost, aber sehr lesenswert, vor allem für Menschen, die historische und/oder aktuelle politische Comicbücher ähnlich lieben wie ich. Ich glaub, es gibt kaum was, was ich so verschlingen kann, wie gut recherchierte historische Forschung, die möglichst niederschwellig zugänglich gemacht wird – durch Bilder oder wörtlich eingebaute Zeitzeug_innenberichte. Und am schönsten ist es, wenn dabei Leute zu Wort kommen, die sonst oft nicht als Individuen in die Geschichtsbücher eingehen, wie People of Colour, queere Personen, Behinderte, Arbeiter_innen, viele mehr und jede erdenkliche Kombination aus diesen Gruppen.
Andere Frage: An welches Ereignis denkst du besonders gerne zurück? Ich hab richtig lang über diese Frage nachgedacht, bis mich ein befreundeter Mensch drauf hingewiesen hat, dass es nicht darum geht, die ultimativ beste Erinnerung zu finden, sondern einfach eine, die mir spontan einfällt. Und jetzt im Kontext dieses Interviews denk ich an Wales. Also. Wie das in Südwales meiner Erfahrung nach immer notwendig ist, haben wir jeden nicht komplett verregneten Tag für einen Ausflug genutzt – meist durch Nebelschwaden und ebenfalls ganz schön frech wirkende Schafherden zu einem Wasserfall, einem sagenumwobenen See, einem Steinkreis oder einem Berggipfel … Aber an einem Tag waren wir stattdessen im Kino. Im Nachbartal in einem kleinen Arbeiter_innenort hat sich der dortige Bergarbeiterverein mit Geld aus den monatlichen Mitgliedsbeiträgen ein eigenes Kino hingestellt. Ein Prunksaal und ein kleinerer Raum, vergoldete Lampen, Stuck, Popcorn und alles, was dazugehört. Und weil es grad Zeit für Barbie war, wir natürlich alle in pink und so offensichtlich trans wie wir nur sein konnten. Irgendwo am Land in einem Bergarbeiterkino. Und dann? Dann war es ein richtig schöner Ausflug. Die Kinomitarbeiter_innen waren herzlich und lieb, wir durften in alle Räume reinschauen und die alte Dame, die die Tickets gezwickt hat, ist am Ende extra vorbeigekommen, um unsere Meinung zum Film zu hören und uns zu sagen, wie schön sie es findet, dass sie uns getroffen hat. Und irgendwie ist das nur eine kleine Sache, aber wenn Leute aus verschiedenen marginalisierten Gruppen aufeinander treffen und gemeinsam eine schöne Zeit haben, dann geht mir jedes Mal das Herz auf und alles wirkt plötzlich viel machbarer.
Woran arbeitest du derzeit? An einer Reihe von lebensgeschichtlichen Interviews zum Thema Geschlechtervielfalt – ich interviewe im Rahmen des Oral History Projekts MenschenLeben inter_ trans_non-binary Personen über ihr Leben. Die Interviews, bei denen die Interviewpartner_innen dem zugestimmt haben, werden voraussichtlich nächstes Jahr auch auf der MenschenLeben–Website veröffentlicht. Und an dieser Liedersammlung – also der Sammlung von Übersetzungen revolutionärer Lieder aus allen Gegenden, in denen ich bis jetzt unterwegs war. Bis das genug Lieder sind, um was draus zu machen, wird es allerdings wahrscheinlich noch etwas dauern.
Gerlinde Allmayer zählt in ihrer Region zu den bekanntesten Dialektautor:innen, was nicht nur daran liegt, dass ihre Texte von hoher Qualität sind und beim Publikum gut ankommen, sondern auch daran, dass sie sich für ihre Region und den Dialekt unermüdlich einsetzt. Dabei hat sie selbst erst spät begonnen, im Dialekt zu schreiben.
Die Autorin kam 1958 in Niedernsill zur Welt, wo sie auch heute noch lebt. In ihrer Kindheit war der Dialekt die vorherrschende beziehungsweise einzige Sprache, erst durch den Eintritt in die Volksschule kam Allmayer mit der Hochsprache in Berührung. Die Zweisprachigkeit empfindet sie als Vorteil. Sie selbst habe mit dem Erlernen der hochdeutschen Sprache keine Probleme gehabt, weniger sogar als jene Kinder, die in einem Mischmasch aus Dialekt und Hochsprache erzogen wurden. „Als Kind ist es wichtig, dass du eine Sprache ordentlich beherrscht, dann sind die Wurzeln für jede weitere Sprache gelegt“, meint sie.
Mit dem Schreiben hat Gerlinde Allmayer bereits als junge Erwachsene begonnen. Der Dialekt kam in ihrer Literatur allerdings erst 1997 dazu, als die Dialektautorin Barbara Rettenbacher-Höllwerth († 29.8.2023), einst Allmayers Volksschullehrerin, vom literarischen Schaffen ihrer ehemaligen Schülerin erfuhr und sie ermunterte, für die Niedernsiller Stund Dialekttexte zu verfassen. „Ich wollte eigentlich nie Dialektautorin werden“, gesteht Allmayer. „Für mich hatten Dialektgedichte damals noch den Beigeschmack: zu brav, zu verstaubt, zu heimattümelnd. Ich kannte bis dahin fast ausschließlich gereimte Dialektgedichte, in denen es um Wald, Blumen und Alm ging.“ Bei der Niedernsiller Stund stachen die Texte Allmayers heraus. Dass erkannte auch Max Faistauer, der damalige Leiter des Arbeitskreises Regionale Sprache und Literatur im Salzburger Bildungswerk. Er ermunterte die Autorin, weiterhin im Dialekt zu schreiben – und Allmayer blieb dabei. „Anfangs war meine Niederschrift fürchterlich! Gerade die verschiedenen E-Laute des Pinzgauerischen kann man nicht eins zu eins abbilden. Von Max Faistauer lernte ich dann, wie wichtig es ist, dass sich die Schreibweise der Wörter einheitlich durch den Text zieht. Am Ende soll der Dialekt nachvollziehbar, aber auch lesbar sein.“ Durch die Teilnahme an Seminaren und Schreibwerkstätten tauchte Allmayer schließlich immer tiefer in die Dialektliteratur ein. Über Barbara Rettenbacher-Höllwerth lernte sie auch die Ö.D.A. und den Morgenschtean kennen und stellte schließlich fest: In der Dialektliteratur gibt es durchaus viele gute, kritische Texte. „Und so bin ich dann immer tiefer in diesen `Sumpf´ hineingerutscht und seither nicht mehr wieder herausgekommen“, gesteht die Autorin lachend.
Mittlerweile ist Allmayer nicht mehr „nur“ Autorin, sondern außerdem Organisatorin zahlreicher Veranstaltungen und Schreibwerkstätten. 2008 übernahm sie selbst die Organisation der Niedernsiller Stund, die jedes Jahr Ende September stattfindet – 2023 fand das Event bereits zum 36. Mal statt. Lasen in den Anfängen noch ausschließlich Autor:innen aus dem Oberpinzgau, weitete bereits Rettenbacher-Höllwerth die Einladungen auf andere Gaue aus. Allmayer veränderte die Veranstaltung nochmals. Statt wie früher sechs, sieben oder acht Autor:innen, werden jetzt nur mehr vier eingeladen, damit sich das Publikum besser auf die Lesenden und ihre Texte einstellen kann. Eine:r der vier kommt aus dem internationalen Raum – meist über das Internationale Dialektinstitut IDI, dessen Vizepräsidentin Allmayer mittlerweile ist. Auch der Veranstaltungsort wurde geändert – statt im Gasthaus werden die Texte nun im Kulturzentrum Samerstall Niedernsill vorgetragen. „Wir haben dort einen schönen Veranstaltungssaal und außerdem, in einem angeschlossenen Raum, das Tauriska Mundartarchiv, in dem wir Mundartschriften und -Publikationen aus dem Land Salzburg sammeln. Die ältesten sind aus dem neunzehnten Jahrhundert. Das Ambiente im Samerstall bietet dem Publikum die Möglichkeit, sich konzentriert auf die Texte einzulassen – und ich habe das Gefühl, dass die Veranstaltung dadurch sehr gewonnen hat.“ Seit 2011 wird die Niedernsiller Stund auch auf Radio Salzburg ausgestrahlt, sodass auch Menschen von außerhalb die Texte hören können. Aber auch im restlichen Jahr setzt sich Allmayer für die Dialektliteratur ihrer Region sowie die Literatur im Allgemeinen ein. Sie ist mittlerweile Leiterin des Arbeitskreis Regionale Sprache und Literatur, leitet das vorhin erwähnte Tauriska Mundartarchiv und als Vizepräsidentin des IDI (Internationales Dialekt Institut) ist sie auch international mit der Mundart vernetzt. Darüber hinaus bietet sie Schreibwerkstätten in hochdeutscher Sprache und im Dialekt an, nicht nur an Schulen, sondern unter anderem auch an der VHS Zell am See. Während der Pandemie rief Allmayer eine Online-Schreibwerkstatt ins Leben, die sich schließlich WmW (Weiwaleit mit Weitblick) nannte und im Frühjahr 2022 gesammelt Texte an den Morgenschtean sandte, von denen einige in der Ausgabe U72-73 abgedruckt wurden. Auch heute noch treffen sich die Mitglieder einmal im Jahr bei einer Online-Schreibwerkstatt, was den Vorteil hat, dass auch jene, die nicht im Pinzgau wohnen, problemlos mit dabei sein können. Um andere Autor:innen zu fördern, gründete Allmayer schließlich auch den manggei-Verlag. Dort sind zahlreiche Publikationen im Pinzgauer sowie auch im Tennengauer Dialekt erschienen, nicht nur von Gerlinde Allmayer selbst, sondern auch von Max Faistauer, Gundi Egger, Maria Junger, Erika Rettenbacher, Lisbeth Ebner, Anna Nindl, Theresia Oblasser und Ursula Pernhofer (siehe Infobox unten).
2017 erhielt Allmayer für ihr literarisches Werk und ihre Verdienste zur Förderung des Dialekts den Walter Kraus Mundartpreis. „Das war schon ein schönes Gefühl. Den Preis erhält man ja nicht bloß für ein Gedicht sondern für ein umfangreiches Schaffen.“ Ob sie selbst auch manchmal Texte in hochdeutscher Sprache verfasse? „Natürlich. Nicht jeder Text will im Dialekt niedergeschrieben werden. Manche Texte kommen gleich im Dialekt heraus, andere wollen lieber auf Hochdeutsch niedergeschrieben werden.“ Autor:innen, die gerade beginnen, im Dialekt zu schreiben, rät Allmayer, sich ein Wortregister für den eigenen Dialekt anzulegen. „So fällt es leichter, sich eine einheitliche Schreibweise anzugewöhnen – und erleichtert auch die Zusammenarbeit mit einer Lektor:in.“ Durch ihre Verlagsarbeit und die vielen Zusammenkünfte mit Dialektautor:innen aus diversen deutschsprachigen Regionen, wurden auch andere Dialekte immer vertrauter für Allmayer. Die Liebe zur Literatur und zum Dialekt hat Gerlinde Allmayer an ihre Tochter weitergegeben. Trotz Übersiedelung nach Vorarlberg schreibt Cornelia Allmayer-Krieg im Dialekt ihrer Kindheit und Jugend. Dass das Talent weitervererbt wurde, davon kann man sich im neuen Morgenschtean (U76-77) überzeugen!
Text: Margarita Puntigam Kinstner Dieser Artikel erschien in der PDF-Beilage zum MorgenschteanU78-79/ Nov. 2023
Der Grazer Autor Harald Letonja zu Gast in der zweiten Folge von DialektSHOG– und darin geht es diesmal um die Motivationen, warum Autor:innen überhaupt im Dialekt schreiben.
„Am Ende steht immer die entscheidende Frage: Ist es gut gemacht oder nicht“
Lieber Harald, du schreibst deine Gedichte im Grazer Dialekt und übersetzt auch englischsprachige Songs. Wie bist du zum Dialekt gekommen?
Meine Beziehung zum Dialekt ist schnell geschildert: Als Kind habe ich mich nicht für Dialekt interessiert — weil ich ganz selbstverständlich damit aufgewachsen bin. Es war meine Sprache. Die habe ich von Anfang an im Hals gehabt. Die Geschwister, die Nachbarn, die ganze Vorstadt-Umgebung, die Spiel- und Schulkameraden, das alles zusammen hat mein Sprechen geprägt. Alle um mich herum haben im Dialekt gesprochen. Die einzige Ausnahme war meine Mutter. Im Gegensatz zu meinem Vater, der ein Grazer war, stammte sie aus Danzig, das war zur Zeit ihrer Kindheit noch eine deutschsprachige Freie Stadt. 1945 musste sie von dort flüchten. Sie hat, bis zu ihrem Tod vor einigen Jahren, mit über 90, immer ihre klare und sprachlich korrekte norddeutsche, leicht preußische Ausdrucksweise und Sprachfärbung beibehalten. Das haben wir Kinder nicht übernommen, das wäre absurd gewesen, dann dazu war der Eindruck, der sprachliche Druck der Dialektumgebung zu dominant. Wir haben diese klare Sprache unserer Mutter aber immer im Ohr gehabt. Das hat dazu geführt, dass wir zum Beispiel keine Probleme hatten, den 3. vom 4. Fall zu unterscheiden. Außerdem hat uns unsere Mutter schon ganz früh so exotisch klingende Wörter wie Kolon oder Semikolon nahegebracht, als die LehrerInnen immer nur von Doppelpunkt und Strichpunkt gesprochen haben.
Gibt es Vorbilder – bzw. wer hat dich geprägt?
Als Kind war für mich die Nachbarschaft prägend. Die Grazer Moserhofgasse, in der ich aufgewachsen bin, hatte in meiner Kindheit und Jugend noch den Beinamen „Windische Herrengasse“. Die abschätzige Bezeichnung „windisch“ bezog sich auf die vielen Menschen in der Gasse, die wie mein Vater slowenische Wurzeln hatten. Der Vergleich mit der prunkvollen Herrengasse im Zentrum war eine ironische Bezeichnung. Damit war gemeint, dass die Moserhofgasse eleganter sein wollte, als sie tatsächlich war.
Viele Nachbarinnen und Nachbarn hatten einen starken slowenischen Einschlag in ihrem Dialekt, der uns erst mit der Zeit alles verstehen ließ, was sie uns in ihrer melodisch auf- und absteigenden Sprachmelodie sagen wollten.
Der Dialekt mit seinem besonderen Sprachklang wurde für mich zur Selbstverständlichkeit. Ich schreibe sowohl in Hochsprache als auch im Dialekt. Beim Dialekt hat man zwar nicht mehr Möglichkeiten als in der Hochsprache, aber der Dialekt hat andere Möglichkeiten, die die Hochsprache nicht kennt.
Frühe Einflüsse in meiner späteren Jugend waren, wie bei so vielen Dialekt-SchriftstellerInnen, der Sprachgott H. C. Artmann mit seiner „schwoazzn dintn“ — damals für mich ein Erweckungserlebnis, vor allem, was die Transkription, das Umsetzen von Sprache in sichtbar gewordene Sprache, also Schrift betrifft. Weiters auch Christine Nöstlinger mit ihren großartigen Dialektgedichten in dem Gedichtband „iba de gaunz oamen leit“. Dann selbstverständlich die unendlich große Austropop-Szene mit Ambros, Danzer und vielen anderen. Sehr beeindruckt hat mich auch Arik Brauer, der die Szene um den jiddischen Einfluss bereichert hat und eine ganz raffinierte Art zu reimen hatte. In der Steiermark waren und sind wir ohnehin bis heute gesegnet mit STS, EAV und vielen, vielen anderen.
Was bietet dir der Dialekt für deine Literatur, was die Hochsprache nicht bietet?
Wie hier schon mehrfach und übereinstimmend gesagt wurde, herrscht Einigkeit darüber, dass jeder Dialekt seine eigene Melodie hat, dass der Dialekt viel mit Gefühlen, Emotionen zu tun hat und dass er im Gegensatz zur Hochsprache eine sehr direkte Form des Ausdrucks ist.
Weil das so ist, schreibe ich Gedichte und Songtexte oft im Dialekt. Der Dialekt ist bildhafter, saftiger. Und sein Vokabular ist sinnlicher als das der Hochsprache.
Daraus ergibt sich eine bestimmte Weichheit, wurde in einem Interview* gesagt. Das ist bei einigen Dialekten so. Aber in meinem Fall, im Grazer Dialekt, gibt es viele kurz und hart ausgesprochenen Wörter, die nicht durch Dehnen in eine weiche Form gezwungen werden, wie das zum Beispiel im Wienerischen oft zu hören ist.
Im Dialekt sind die Selbstlaute, die Umlaute und vor allem die Doppellaute bestimmender als in der Hochsprache. Wahrscheinlich sind unsere Emotionen seit Urzeiten von diesen Lauten begleitet. Sei es der Angstschrei bei der Begegnung mit einem gefährlichen Tier, ein Freudenschrei über endlich gelungenes Feuermachen bis hin zu den intimsten Begegnungen. Solche Ereignisse wurden und werden damals wie auch heute noch intensiv von ausgesprochenen oder auch ausgerufenen Selbstlauten, Umlauten oder Doppellauten begleitet.
Der Dialekt hat aber auch eigene Doppellaute, die in der Hochsprache nicht zu finden sind, wie ea, ou, oi, ia, ua, oa, und viel öfter als in der Hochsprache auch das ui. (Also zum Beispiel heast as net, seavas, gean, sou houch oubn, woid, koit, zoit, Hiatamadl, ziang, miassn, fui, ghuit, schuid, zua, gnua, schua, hean, plean, schtean, haot, boat, woat).
Interessanterweise gibt es im Englischen nicht wie bei uns nur drei oder vier, sondern gleich acht Doppellaute:
ou (low, go), au (loud, mouse) ai (light, bike) ei (lay, face) oi (boy, oil) ia (steer, clear) ea (air, chair) ua (tour, poor)
Vielleicht ist diese Ähnlichkeit und das häufigere Vorkommen von Doppellauten, die im Englischen und in unserem Dialekt zu finden sind, dafür verantwortlich, dass englischsprachige Songs sich leichter in den Dialekt übersetzen lassen als in die dafür doch oft sperrige Hochsprache.
Wie bereits erwähnt, schreibst du nicht nur eigene Texte im Dialekt, sondern übersetzt auch Lieder wie etwa die von Leonard Cohen. Worauf legst du bei der Übersetzung bzw. Übertragung dein Augenmerk?
„Sprachen sind nicht kompatibel“, hat einmal der Schriftsteller, Übersetzer und Literaturwissenschaftler Raoul Schrott gesagt.
Und die große Schriftstellerin Maja Haderlap hat nicht nur den wunderbaren, erschütternden Roman „Der Engel des Vergessens“ geschrieben, sondern auch den Gedichtband „Langsamer Transit“. Sie sagt in einem Gedicht, dass die Wörter, die den Fluss durchqueren, nur ja nicht glauben sollen, dass sie unversehrt, so wie sie waren, am Ufer der anderen Sprache aus dem Fluss steigen könnten.
Und Wolfgang Ambros, der Bob Dylan und auch Tom Waits übersetzt hat, meinte vor kurzem in einem Interview, dass man Tom Waits nicht übersetzen oder übertragen, also in den Dialekt hinübertragen kann. Und dann hat er den entscheidenden Satz gesagt: „Man muss versuchen, das zu sagen, was der Tom Waits versucht hat zu sagen. Und wenn das 1:1 in Worten nicht geht, dann muss man andere Worte finden, die das versuchen.“
Das Thema „Übersetzen“ ist zu groß, um es hier auszuführen. Aber an einem kurzen Beispiel kann man sehen, was der Dialekt bei einem aus dem Englischen übersetzten Text vermag:
Es gibt in dem Song „America“ von Paul Simon, noch gesungen von Simon & Garfunkel, die wunderbare Zeile:
And the moon rows over an open field. (der englische Doppellaut „ou“ kommt drei Mal vor)
In die Hochsprache übersetzt, könnte man das etwa so formulieren: Und der Mond steigt auf über offnem Feld/ oder: Und der Mond hoch über dem offnen Feld. oder: Und der Mond hoch ober dem offnen Feld
Im Dialekt (wo es das „ou“ im Gegensatz zur Hochsprache ja auch gibt) könnte man das „And the moon rows over an open field“ dann so übersetzen: und da mond houch ouwa an oufnan fööd. — („sou houch oum, da mond“)
In der zweiten Sendung von DialektSHOG, bei der du Gast sein wirst, steht unter anderem auch die Frage im Raum, ob gute Dialektliteratur von Menschen geschrieben werden kann, die selbst nicht im Dialekt sozialisiert wurden. Wie stehst du zu dem Thema?
Warum nicht? Karl Merkatz, der „Mundl“, war ein geborener Wiener Neustädter, das geht bei Wienern vielleicht noch durch. Wolfgang Böck ist in Linz geboren, hat in Salzburg und Graz studiert und hier Erfolge am Schauspielhaus und in der Oper gehabt. Soviel ich weiß, ist er erst mit über 30 in Wien als „typischer Wiener“, wie später in der Rolle des „Trautmann“ bekannt geworden. Adi Hirschal ist geborener Innsbrucker und auch erfolgreicher Schauspieler auf deutschen und österreichischen Bühnen. Böck und Hirschal singen gemeinsam die typischen Wiener „Strizzilieder“. Allen dreien ist gemeinsam, dass sie Schauspieler sind und neben den Rollen, die dem Fernsehpublkum bekannt sind, viele Engagements und Erfolge an großen deutschsprachigen Bühnen gehabt haben. In Hochsprache selbstverständlich. Den Dialekt haben sie sich für ihre Rollen „angeeignet“. Wer Karl Merkatz einmal privat oder in Interviews gehört hat, der hat einen Menschen mit sehr gewählter, fast vornehmer Stimme, Wortwahl und Formulierung gehört. Der „Mundl“ war eine Rolle.
Bei Gedichten, bei emotionaler Lyrik, kann es auch eine Rolle sein, in die man schlüpft, auch im Dialekt. Die Literatur und ihre Präsentation ist vielfältig geworden. Rap, Poetry Slam und kunstvolle Lesungen sind oft mit „Rollenspielen“ verbunden. Wenn dadurch heute, auch mit Dialekt, andere, neue Zuhörergruppen angesprochen werden, sollte man das als Bereicherung sehen. Am Ende steht immer die entscheidende Frage: Ist es gut gemacht oder nicht?
Die 1. Grazer Lesebühne setzt ihr Publikum unter Strom – und das schon seit 10 Jahren
von Margarita Puntigam-Kinstner
Es ist der 18. Mai – VOLT-Abend im Postgaragen-Cafe. Kurz vor Beginn plaudert man noch ein paar Töne, erzählt sich das Neueste und wartet auf jene, die noch das Kleinkind schlafen legen. Die lockere, gemütliche Stimmung ist Teil des Lesebühnenflairs, das gilt für Berlin genauso wie für Graz. In erster Linie geht darum, in entspannter Atmosphäre Zeit miteinander zu verbringen. Vor allem aber soll das Publikum gerockt – bzw. unter Strom gesetzt werden. Dass das regelmäßig gelingt, erkennt man daran, dass sich der Raum im Postgaragen-Café schnell füllt. Trotz der eilig herbeigebrachten, zusätzlichen Sitzmöglichkeiten, muss am Ende etwa ein Dutzend Gäste mit einem Stehplatz Vorlieb nehmen, doch das scheint der Vorfreude keinen Abbruch zu tun.
1. Grazer Lesebühne in neuem Gewand
Die elektrisierende Formation namens V.O.L.T – bestehend aus den Slam-Poet:innen da Wastl (V), Anna-Lena Obermoser (O), Klaus Lederwasch (L) und Mario Tomić (T) – tritt zwar erst seit etwas mehr als einem Jahr in dieser Kombination auf, die Lesebühne selbst gibt es jedoch schon seit 2013. Auf sage und schreibe 75 Auftritte konnte das Kollektiv – damals noch unter dem Namen „Gewalt ist keine Lesung“ – zurückblicken, bevor der Lockdown den Auftrittsmöglichkeiten vorerst einen Riegel vorschob. Ohnehin aber war zu dieser Zeit schon ein bisschen die Luft draußen. Das Team befand sich im Umbruch, manche waren weggezogen andere hinzugekommen, auch passte die Chemie nicht mehr ganz so gut wie zu Beginn. 2021 kam man zwar noch einmal zusammen, um gemeinsam ein Corona-Projekt zu verwirklichen (siehe Infokasten), ansonsten sah man in der Ruhe die Chance, sich zu überlegen, wie es weitergehen soll.
Das „Corona-Projekt“ der 1. Grazer Lesebühne: ein breite Holz-USB-Stick mit Texten von Mario Tomić, Klaus Lederwasch, Wittrich, Anna-Lena Obermoser, Kuno Kosmos und anderen Poet:innen. Die Texte werden musikalisch von Niki Waltersdorfer begleitet – Hörproben finden Sie im neuen Morgenschtean über die QR Codes. Der Stick ist nach wie vor bei den Veranstaltungen von V.O.L.T. erhältlich!
Im Mai 2022 konnte man die Lesebühne schließlich erstmals in neuer Formation im Postgaragen-Café erleben. Mit Mario Tomić und Klaus Lederwasch waren zwar auch zwei Gründungsmitglieder im Team – das Format aber war nun ein anderes. Freier für jede:n einzelne:n Poet:in sollte es werden, vor allem wollte man den Organisationsaufwand ein wenig reduzieren ohne dass dabei die Qualität verlorengeht. „Bis zum Lockdown, haben wir noch für jeden Abend eigens ein Theaterstück verfasst“, erinnert sich Lederwasch. „Das war zwar eine echt coole Sache, aber halt auch ein enormer Aufwand, wenn man bedenkt, dass ja jedes Stück nur einmal zur Aufführung kam.“
Um – neben dem jeweils eingeladenen Stargast – auch im eigenen Programm ein besonderes „Herzstück“ zu bieten, gibt es nun die Challenge. Welcher Art diese sein soll, wird immer durch zwei Würfel entschieden. Der eine gibt die Art der Challenge vor, der andere, wer sich dieser Challenge das nächste Mal stellen muss. Möglich sind neben den Formaten Rap und Team-Text z.B. Stand-Up, ein Song oder sogar ein ganzes Musical. Damit es nicht zu einfach wird, müssen die Stichworte eingebaut werden, die vom Publikum vorab gesammelt und gezogen wurden.
„Die Challenges sorgen dafür, dass wir unsere gewohnte Spielwiese verlassen und uns auch mal an neue Formate wagen. Ich selbst wäre zum Beispiel nie auf die Idee gekommen, einen Rap zu schreiben“, gesteht Anna-Lena Obermoser, die mit ihrer souligen Stimme und ihren eindringlichen, im Salzburger Dialekt deklamierten Texten das Publikum mitreißt.
Abgesehen von der Challenge, gibt es für die Poet:innen seit 2022 keine Vorgaben mehr. Jede:r bereitet Bühnentexte vor, die seinem bzw. ihrem Stil entsprechen, auch von einem Thema möchte man sich nicht mehr einschränken lassen. „Wir sind alle sehr unterschiedlich in dem, was wir tun“, meint Obermoser. „Das ist auch der Grund, warum ich gerne bei VOLT bin. Wir lassen einander die maximale Freiheit, arbeiten aber andererseits sehr eng zusammen. Das geht nur, wenn die Chemie stimmt, und das ist bei uns jetzt wieder zu 100 Prozent der Fall.“
Gerade die markanten Stilunterschiede machen den Charme der 1. Grazer Lesebühne aus – kein Vortrag ähnelt auch nur annähernd dem anderen. Während der Wastl mit viel Wortwitz im Rap-Rhythmus slammt, erinnern Anna Lena Obermosers Gänsehaut erzeugende Auftritte an die des legendären Beatniks Allen Ginsberg. Lederwasch wiederum ist seinen Tiergeschichten treu geblieben, die einem das Lachen regelrecht im Halse stecken bleiben lassen. Wer „den bunten Haufen“ mit seiner absolut liebenswert-schrägen Moderation zusammenhält, ist – nicht nur an diesem Abend – Mario Tomić. „Und? Was habt ihr euch gemerkt?“, fragt er in die Runde. Als alle im Publikum verlegen zu kichern beginnen, streichelt er mit gespielt-enttäuschtem Blick die Wassermelone, die er den halben Abend über in seinen Armen hält, als müsse er bei ihr Trost suchen.
Tomić kennt man in Graz schon lange. Man könnte sagen, was Markus Köhle und Mieze Medusa für die gesamtösterreichische Slamszene sind, ist Mario Tomić für Graz. Jahrelang hat er unter anderem den Kombüsen-Slam moderiert und den PoetySlam mit viel Elan und vor allem seinem ganz eigenen schrägen Humor in der steirischen Landeshauptstadt bekannt gemacht. An diesem Abend nimmt der Poet – der sich selbst in seinen Texten oft mit dem Thema Migration beschäftigt – zurück. „Damit der Abend nicht zu lange dauert“, wie er verrät. Immerhin warten doch alle gespannt auf den Stargast und die anschließende Challenge – denn diesmal wird tatsächlich ein Musical geboten.
In Spaß verpackte Gesellschaftskritik
Was nach der Pause folgt, ist eine an Lachkrampf-Potential kaum zu überbietende Darstellung. Wastl spielt den Zwergkaninchen jagenden Sonnenkönig – in Hawaiihemd, Bermudashorts und und Turnschuhen, auf die Stofftiere gebunden sind. Sein buckelnder Diener Lederklaus singt im Sado-Maso-Fledermauskostüm; Tomić und Obermoser geben die Einbrecher, die den goldenen Schuh stehlen und im Anschuss darüber streiten, wer die Putzarbeit zu übernehmen hat. Das klingt nach einer herrlichen Blödelei, und tatsächlich stehen den meisten Besucher:innen Tränen in den Augen. In ihren schrägen, fast durchwegs gesungenen Texten üben die Poet:innen jedoch Kritik am Kapitalismus; es geht um Machtstrukturen und Ungleichbehandlung, und auch die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau wird in das bizarre Setting gepackt. „Ursprünglich hatten wir sogar einen queren König. Ich hatte schon einen Text dazu geschrieben, aber dann sind wir draufgekommen, dass das doch zu viel Themen geworden wären“, gesteht Obermoser ein paar Minuten nach dem tosenden Schlussapplaus, als alle wieder gemütlich bei Bier und Makava beisammenstehen. Auch das gehört zum Erlebnis dazu. Dass man im Anschluss – um einen Tisch stehend – mit den Mitgliedern der Lesebühne über das Gesehene bzw. Gehörte diskutieren kann und auch einen Einblick in die Entstehungsgeschichte der Texte gewährt bekommt. Das ist schon ein ganz anderes Erlebnis, als wenn man man in einer Stuhlreihe sitzt und auf ein erhobenes Podium emporblickt.
„Das ist wie ein Auftrag, den ich mir spüre, gegen Unrecht den Mund aufzumachen“
Die steirische Regisseurin und Liedermacherin Ulrike Düregger lebt seit 30 Jahren in Berlin. Isabella Krainer hat die Künstlerin gefragt, warum sie Graz verlassen hat und wie es ihr mit ihren Dialektliedern in Berlin geht.
ISABELLA KRAINER: Du bist in Graz geboren und lebst seit 1993 als Regisseurin, Performing Artist, Sängerin und Liedermacherin in Berlin. Was hat dich als Künstlerin dazu bewogen, die Steiermark hinter dir zu lassen? ULRIKE DÜREGGER: Ich bin wohl so eine typische Schütze-Frau, die es früh in die weite Welt hinausgezogen hat. Übrigens bin ich zwar in Graz geboren, aber in Neumarkt/Stmk., einem Ort mit 2000 Einwohner*innen, aufgewachsen. Ich war neugierig auf Menschen, auf Lebensmodelle, auf Kunst. Und da war mir die Steiermark etwas zu eng. Andererseits hat mich als junge Frau das „Motschgan“, das Meckern und Alles-Negativ-Sehen als Lebensgefühl, ziemlich g‘stört. Ich wollte ein Gegenbeispiel sehen und spüren. Die Verbundenheit zu meiner Heimat, die trotz der kritischen Perspektive immer da war und ist, kann ich vielleicht einfach besser aus der geografischen Ferne genießen und so im Herzen tragen.
ISABELLA KRAINER: Auf POSTTRAUM(A), deiner 2022 erschienenen CD, finden sich Folk, Pop und Jazz-Elemente. Ein musikalischer World-Mix. Sprachlich hast du dich bei fast allen Songs für steirischen Dialekt entscheiden. Warum? ULRIKE DÜREGGER: Die Leute hören ja heutzutage Rap auf Kisuaheli und Chansons im Obertongesang, aber als ich in Berlin etwas mit Dialekt und auch noch in Zusammenhang mit Jazz machen wollte, da waren viele irritiert. Meinen Dialekt bezeichne ich als meine Muttersprache. Ich kann einfach anders singen und mich anders im Dialekt ausdrücken. Ich spüre mich im Dialekt mehr. Und alles immer auf Englisch zu singen, das nervt mich etwas. Das soll dann international klingen, tut es aber meiner Meinung nach nicht. Dialekt ist Identität, deswegen hab ich mich dafür entschieden. Und singen hat ja auch viel mit Seele und auch Heilung zu tun.
ISABELLA KRAINER: In Songs wie „A oida Moun“ oder „Wia woan Kinda“ geht es nicht zuletzt auch darum, das Leben Revue passieren zu lassen. Ist das in der Sprache der eigenen Kindheit einfacher? Oder vielleicht sogar schwieriger? ULRIKE DÜREGGER: „A oida Moun“ ist tatsächlich ein Song, der zuerst aus englischen Phrasen entstanden ist. Aber ich wollte ihn unbedingt im Dialekt machen, weil ich festgestellt habe, dass diese Vater-Sohn-Geschichte überall stattfinden kann. Und „Wia woan Kinda“, ja, da verarbeite ich starke Kindheitserinnerungen. Mit meinen Geschwistern und Nachbarskindern waren wir oft alleine im Wald oder auf weiten Wiesen unterwegs. Manchmal gar nicht ungefährlich, wenn ich so zurückblicke. Aber dieses starke Band, diese Magie verändert sich, sobald man erwachsen wird.
ISABELLA KRAINER: Deine Texte, Performances, Theater- und Musikproduktionen sind von Themen wie Gewalt, Diversität, Identität und Feminismus geprägt. Nachhaltigkeit ist dir wichtig. Außerdem setzt du dich stark für Anti-Diskriminierung in Kunst/Kultur ein. Was gibt dir die Kraft, die eigene Stimme zu erheben? ULRIKE DÜREGGER: Ja, das war mir eine Zeitlang selbst nicht so bewusst, weil ich das recht intuitiv gemacht habe. Ich hatte das Gefühl, ich kann einfach nicht anders. Es muss einfach raus. Aber dann wurde mir bewusst, in meiner Familie gab es unterschiedliche gewaltvolle Familiengeschichten, private und politische. Eine davon ist, dass meine Großeltern mütterlicherseits wegen „verbotener Liebesbeziehung“ – sie Österreicherin, er polnischer Zwangsarbeiter – ins KZ kamen und nur unsere Großmutter es überlebt hat. Ich denke, das ist wie ein Auftrag, den ich mir spüre, gegen Unrecht den Mund aufzumachen. Ich habe mich immer für Nachbarschafts-Aktivitäten interessiert, für gesellschaftliche, politische Vorgänge, mich gefragt, warum Menschen machen, was sie machen. Das fing schon in der Schule in Murau an und hat bis heute nicht aufg‘hert. Kraft gibt mir, dass ich weiß, dass ich das Richtige tue, indem ich Aktivitäten organisiere, Artikel schreibe oder es mit meiner Kunst verarbeite.
ISABELLA KRAINER: Wenn du dich im Alltag über etwas ärgerst. Schimpfst du dann auf Steirisch oder hörst du dann die Berlinerin? ULRIKE DÜREGGER: Ah ja, doch, da kommt schon die Steirerin in mir raus. Letztens hat mich einer um halb neun in der Früh auf dem „Kampfplatz Fahrradweg“ von hinten etwas aggressiv angeklingelt. Ich sollte wohl schneller fahren – oder fliegen, keine Ahnung. Den hab ich ziemlich z’ammen g’staucht im Dialekt. Ich glaub, er hat nur die Vibes verstanden.
ISABELLA KRAINER: Du spielst mit deiner Band oft live vor Publikum. Wie werden deine steirischen Texte in Deutschland aufgenommen? ULRIKE DÜREGGER: Es ist für mich nach wie vor auch oft überraschend, aber die Leute verstehen echt nix. Ich lass sie so aus Scherz manchmal nach einem Song raten, welche Sprache das war. Da kam sogar u.a. Irisch und Niederländisch. Einzelne Wörter werden oft verstanden, aber keine ganzen Sätze. Das ist echt Wahnsinn. Aber viele finden es einfach spannend. Und stimmig, also Dialekt und die Musik, das hab ich oft gehört und das freut mich dann.
ISABELLA KRAINER: Gibt es aktuell ein Projekt, von dem du unseren Leser:innen gerne erzählen würdest? ULRIKE DÜREGGER: Ich hab schon lange ein Theaterstück im Kopf, in dem ich meinen österreichischen Background verarbeiten will. Denn ich bin doch a bißl kritisch mit diesem Bild der Heimatidylle. Es kann für manche auch ein Alptraum und eben keine heile Welt sein. Und natürlich bastel ich schon wieder an der nächsten CD, wieder mit steirischen Jazz-Songs und versuche unter #neodialect ein Bewusstsein dafür zu schaffen.
ISABELLA KRAINER: Zuletzt wie immer die Frage nach dem Lieblingsdialektwort. Wie lautet deines? ULRIKE DÜREGGER: Boah, des is schwea! Nua ans? Rammlert, für unsauber.
Warum Literatur? Begonnen hat es schon in früher Kindheit mit den Märchen, später mit den Volkssagen aus Österreich. Zum neunten Geburtstag kam „Robinson Crusoe“ dazu, in der Folge „Der Lederstrumpf“ und „Die Schatzinsel“. Im humanistischen Gymnasium war es der Deutschprofessor, der vielen von uns Schülern und so auch mir den Wert von Literatur zu vermitteln wusste und in uns die Freude am Lesen weckte. Es ist nicht bei der deutschen, österreichischen und englischen Literatur geblieben. Im Laufe eines mehr als 70jährigen Leserlebens lernte ich Werke von Literaten aus aller Herren Länder kennen. Ich kann mir nicht vorstellen, nicht mehr zu lesen!
Warum Dialektliteratur? Selbst in ländlicher Gegend mit lokalgefärbter und vom Dialekt durchmischter Umgangssprache aufgewachsen, brauchte es seine Zeit, um im Umgang mit der Schriftsprache sattelfest zu werden. Und später als Volksschullehrer im selben Ort sah ich oft, wie schwer sich manche Kinder taten, wenn sie in der ersten Schulklasse die für sie erste Fremdsprache, nämlich Deutsch, erlernen mussten. Der Dialekt bleibt aber für mich die Sprache, die uns mit wenigen Worten Bilder zu vermitteln mag, wofür die Schriftsprache Zeilen benötigt. Der Dialekt als regionales Kulturgut darf uns nicht abhandenkommen!
Gibt es Vorbilder? Vorbildwirkung haben für mich all jene, die ihr Können, ihre Kraft und ihre Zeit selbstlos Menschen in Notlagen zur Verfügung stellen. Ich denke da an Rettungskräfte, Suchtrupps, Feuerwehrleute, Ärzte ohne Grenzen, Spender und Menschen, die zu Hause oft jahrelang Kranke oder Alte pflegen. Nicht vergessen möchte ich all jene, die sich in unseren Gemeinden in den Dienst der Öffentlichkeit stellen!
Was liest du gerade? Kürzlich schenkte mir ein Freund „Entspannt euch!“ von Michael Schmidt-Salomon, eine Philosophie der Gelassenheit. Peter Handkes „Das Gewicht der Welt“ lese ich in kleinen Schritten und der Doppelmord im Urlaubskrimi steht kurz vor der Lösung.
An welches Ereignis erinnerst du dich besonders gerne? Ich wähle hier drei. Als ich das erstmal als Volksschullehrer vor meinen Kindern in der Klasse stand. Gerne denke ich an die Reise zurück, die mich per Auto von hier über die Türkei, den Iran und Pakistan nach Kabul in Afghanistan führte. Das war 1971. Und als ich im Vorjahr mit fast 78 Jahren meine kleine Enkeltochter Ronja das erste Mal hochheben konnte.
Woran arbeitest du gerade? Auf meinem Schreibtisch liegen ein A4-Block und ein Stift. Fast täglich schreibe ich ein paar Zeilen nieder auch über oft banalste Dinge oder Geschehnisse, die mir während des Tages oder auch in der Nacht auffallen oder durch den Kopf gehen. Ob was daraus wird steht noch in den Sternen.
Josef Graßmugg: Literaturaktivist aus Leidenschaft
»Das Schreiben hat mir schon früh Spaß gemacht«, erinnert sich Josef (Sepp) Graßmugg, der als Sohn einer kinderreichen Bauernfamilie im steirischen Edelstauden aufwuchs und heute unter anderem Vorstandsmitglied er Ö.D.A. ist.. Sein erster Besuch auf der Frankfurter Buchmesse erfolgte schon früh; der Schüler, dessen Lieblingsfach Deutsch war, half in der örtlichen Bücherei aus, zur Buchmesse fuhr man gemeinsam mit dem Bus aus der Steiermark an.
Die Liebe führte ihn als junger Mann schließlich nach Kapfenberg. »Hier war es anders als in Edelstauden oder Kirchbach«, erinnert sich Graßmugg. »Kapfenberg war ideal für mich, es ist nicht ganz so ländlich wie in meinem Heimatort, nicht ganz so klein, hier kann man wirklich etwas auf die Beine stellen. Und trotzdem ist Kapfenberg keine Großstadt, wenn man etwas tut, dann wird es wahrgenommen und sehr geschätzt, weil das Angebot nicht so groß ist.«
Kapfenberg hat einiges zu bieten. Neben dem Kulturzentrum, in dessen Räumlichkeiten nicht nur die Stadtbibliothek, sondern auch der Europa-Literaturkreis Kapfenberg beheimatet ist, gibt es z.B. auch den Filmklub Kapfenberg.
Der Europa-Literaturkreis, dessen Obmann Graßmugg heute ist, entstand nach einen Volkshochschulkurs. »Ich war Mitte zwanzig, als ich hierherkam. An der Volkshochschule wurde damals ein Literaturkurs angeboten. Das schaust du dir an, habe ich mir gesagt, und wenn es dir nicht gefällt, dann gehst du einfach nicht mehr hin. Dadurch, dass mich hier niemand kannte, hatte ich mehr Freiheiten, mich auszuprobieren.«
Nach Beendigung des Kurses blieben die Teilnehmer:innen in Kontakt. »Um gemeinsam zu schreiben und uns übers Schreiben auszutauschen«, erzählt Graßmugg. »Wir haben uns damals im Kaffeehaus getroffen. Gemeinsam haben wir dann begonnen, die Literaturzeitschrift ›Reibeisen‹ herauszugeben.«
Das »Reibeisen« gibt es noch heute, dieses Jahr feiert das schwergewichtige Kultur-und Literaturmagazin, das einmal im Jahr erscheint, seinen vierzigsten Geburtstag. »Wir sind gut gefördert, dadurch ist es möglich, dass das Reibeisen viel Inhalt bietet. Und natürlich auch und vor allem, weil die Menschen in unserem Verein viel ehrenamtliche Arbeit leisten.«
Einer von ihnen ist Graßmugg selbst. Er ist nicht nur Obmann des Vereins, sondern zudem Organisator diverser Lesungen, Website-Betreuer und Leiter der »Reibeisen«-Redaktion. Auch in anderen Bereichen setzt sich Graßmugg für die Literatur ein. – z.B. als Redaktionsmitglied des Pfarrblatts, wo er sich um den Literaturteil kümmert.
Schade findet es der Dialektlyriker, dass immer weniger Dialektliteratur geschrieben werde. »Früher haben wir beim ›Reibeisen‹ ein eigenes Jury-Team nur für die Dialektliteratur gehabt. Jetzt, da nur noch wenige Texte im Dialekt kommen, werden diese gemeinsam mit den anderen Texten bewertet.«
Auch der Verein habe nur noch wenig Zuwachs durch junge Menschen. »Viele, die in jungen Jahren literarisch tätig sind, hören zu schreiben auf, wenn der Alltagsstress kommt. Oder sie ziehen aus Kapfenberg weg.«
Nicht wenige Mitglieder des Europa-Literaturkreises wohnen nicht in Kapfenberg. So wie etwa die Autorin und Schauspielerin Christine Teichmann, die in Graz lebt und Vorstandsmitglied des Vereins ist. Andere Mitglieder leben in Deutschland. Auch aus diesem Grund veranstaltet der Verein die »LiteraturBiennale Kapfenberg« – ein Lesefestival, bei dem die Mitglieder zusammenkommen, um sich auszutauschen und ihre Neuerscheinungen vorzustellen. »Die Biennale ist das Herzstück des Vereinsjahrs. Wir organisieren immer einen gemeinsamen Ausflug – und ein Tag ist allein für die Lesungen reserviert.«
Die LiteraturBiennale ist jedoch nur eine von vielen Veranstaltungen, die der Verein im Ort anbietet. Neben diversen Lesungen der Mitglieder – darunter auch Dialektlesungen – gibt es z.B. das monatliche Literaturcafé, in dem jedes Mal über Leben und Werk eines bzw. einer ausgewählten Autor:in gesprochen wird. Zudem kümmert sich der Verein auch darum, Autor:innen von außerhalb nach Kapfenberg zu holen. Eingeladen wurden bisher nicht nur Autor:innen aus ganz Österreich und Deutschland, sondern etwa auch aus dem osteuropäischen Raum. Auch die Leseförderung liegt dem Verein am Herzen, einmal im Jahr lädt der Europa-Literaturkreis Kapfenberg die Kleinsten zum Vorlesetag. Selbst die Gassennamen Kapfenbergs wurden schon durch Lesespaziergänge erschlossen. »Bei uns tragen nicht wenige Gassen Namen von Schriftstellern. Was uns bei dem Projekt damals auffiel: Kapfenbergs Straßennetz fehlen die Schriftstellerinnen. Auch das versuchen wir nun zu ändern.«
Diesen Herbst ist das Lesefestival »überBRÜCKEN« geplant. Etwa drei, vier Tage lang soll an diversen Brücken gelesen und die Bedeutung von Brücken auch im übertragenen Sinn hervorgehoben werden.
Hauptberuflich ist Graßmugg mittlerweile im Verwaltungsdienst der Polizei tätig. »Früher war ich bei der Post angestellt. Nicht am Postschalter. Ich bin die Handymasten hochgeklettert, das war für die Figur und die Fitness besser. Heute sitze ich nicht nur für den Verein, sondern auch hauptberuflich viel am Computer. Das ist gemütlich für mich, so kann ich jetzt auch zwischendurch mal meine Mails checken.«
Die Kulturarbeit, die Graßmugg ehrenamtlich für den Verein leistet, frisst freilich einen großen Teil seiner Freizeit. »So was kannst du nur machen, wenn du eine Partnerin hast, die das akzeptiert. Meine Frau hat früher im Pflegebereich gearbeitet. Während sie Nacht- und Wochenenddienste schob, habe ich mich um die Vereinsarbeit gekümmert. Seit sie zu Hause ist, wünscht sie sich, dass ich nicht mehr so viel allein mache und mehr delegiere. Aber das dauert manchmal länger, als wenn ich es gleich selbst mache. Heute ist es nicht mehr so leicht, ehrenamtliche Mitarbeiter:innen zu finden.«
Ob er selbst noch zum Schreiben komme? Graßmugg lacht. »Ich schreibe Dialektlyrik und Kurzgeschichten, ein Roman wäre gar nicht möglich. Manchmal, wenn ein Lesungstermin naht, bekomme ich die Panik, dass ich es nicht mehr rechtzeitig schaffe, einen passenden Text zu verfassen. Aber am Ende fällt mir immer was ein.« Die Ideen kommen manchmal auch beim Warten. »Wenn ich zum Beispiel am Bahnhof stehe, um einen Autor oder eine Autorin abzuholen, dann kann es schon vorkommen, dass ein Limerick entsteht. Beim Warten kann man auch gut die Silben für ein Haiku zählen.«
Vom Schreiben leben zu müssen, stelle er sich nicht sehr inspirierend vor. »Ich bin froh, dass ich durch meinen Job finanzielle Sicherheit habe. Wenn ich schreiben müsste, würde mir wahrscheinlich schnell die Lust vergehen, vor allem, wenn der Druck dazukäme, damit mein Auskommen verdienen zu müssen.«
Neben seiner Tätigkeit als Vereinsobmann steht Graßmugg auch als Laienschauspieler auf der Bühne, gerade finden wieder Proben statt. »Zum Glück dürfen wir diesmal bis zum Schluss mit dem Textheft auf der Bühne stehen. Das ist nicht bei jedem Regisseur so. Beim Textlernen merke ich nun doch langsam, dass ich älter werde«, gesteht Graßmugg.
Nach unserem Gespräch besuchen wir das Sporthotel. Um ein Bier (bzw. ein Glas Saft) zu trinken – aber nicht nur. Am kommenden Tag findet die »Reibeisen«-Redaktionssitzung statt, dafür müssen noch die Brötchen organisiert werden.
Als wir das Café mit Blick auf den Sportplatz betreten, wird Graßmugg von allen Seiten freundlich gegrüßt. Man kennt ihn in Kapfenberg – nicht nur als Dialektlyriker und Organisator diverser Veranstaltungen, sondern auch als Nikolo und Menschen, mit dem man gern ein Bier trinkt.
Das Telefon klingelt. Graßmugg sieht auf die Nummernanzeige. »Da rufe ich später zurück. Bestimmt geht es um den Pfarrball«, meint er. Dort plane man ihn für die Mitternachtseinlage ein, und davor helfe er bei der Ausschank.
Den Namen Stephan Roiss kennen Literaturbegeisterte allerspätestens seit seinem Roman Triceratops (2020), der es direkt auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat. Unter den Namen „Äffchen“ rappt und singt der Autor und Musiker im oberösterreichischen Dialekt – zu den elektronisch gepimpten Drumbeats von Christoph „Craigs“ Hehn . Margarita Puntigam-Kinstner hat sich das neue Album „Extremliab“ von „Äffchen & Craigs“ angehört und Stephan Roiss ein paar Fragen gestellt.
Fans der heimischen Hip Hop Szene kennen dich schon länger als „Äffchen“. Wie hat eure Karriere als Duo gestartet? Und gab es eure Namen „Äffchen“ und „Craigs“ schon davor? Vorab: Unsere Musik hat sicherlich starken Hip Hop-Einfluss, aber wir nehmen uns selbst nicht als Hip Hop-Act wahr. Auf Ö1 wurden wir einmal im Dreieck von Attwenger, Texta und König Leopold verortet – was ich bis heute recht passend finde, auch wenn unsere Affinität zu 80s-Pop-Ästhetik und härterer Gitarrenmucke dabei ein wenig unter den Tisch fällt. Ursprünglich war „Äffchen & Craigs“ bloß ein vergnügliches Nebenprojekt zu „Fang den Berg“ – einem Noiserock-Impro-Quartett, bei dem wir beide schon seit 2007 aktiv sind. Sowohl das Grundkonzept als auch die Namen sind während einer Probenpause dieser Band entstanden. Bis 2016 ist dann auch nur wenig mehr passiert, als dass wir uns ab und an zu einer Studiosession getroffen haben und ge-meinsam eine lustige Zeit hatten. Als wir aber bemerkten, dass sich über die Jahre genügend Tracks für ein Album angesammelt hatten, begannen wir es ernst zu nehmen. Unsere Debütplatte „Hop Hop“ erschien 2017 und seither professionalisie-ren wir uns zunehmend.
Du rappst im Oberösterreichischen Dialekt. Was kann Dialekt für dich, was Hochsprache nicht bietet? Beides bietet Vor- und Nachteile. Hochsprache ist Geröll und Felsenformation, Dialekt ist tröpfelndes, rauschendes, reißendes Wasser. Dialekt tendiert zu weicheren Klängen, er scheint mir anschmiegsamer und flexibler, aber nicht weniger kraftvoll. Zudem pflegt er für mich eine innigere Beziehung zu Humor. Ich laufe beim Texten oft Gefahr, pathetisch zu werden und dann mitunter in eine übertriebene Bedeutungsschwere zu kippen. Wenn ich im Dialekt schreibe, kann mir das kaum passieren. Er zwingt mich förmlich dazu, mich nicht zu ernst zu nehmen.
Wie entstehen die Ideen zu den Texten? Auf sehr unterschiedliche Weisen. Manchmal gibt es zuerst einen Beat und ich lasse mich von der Stimmung der Musik zu den Inhalten leiten. Manchmal schnappe ich auf der Straße einen Ausdruck auf, der mich begeistert und der zum Ausgangspunkt eines Textes wird. Manchmal beschäftigt mich einfach ein Thema und ich schreibe einen Song darüber – in „Äffchen & Craigs“-Manier, wenn ich es passend für das Projekt finde.
In den Texten spielst du zum Teil mit typisch österreichischen Ausdrücken, insgesamt gibt es viel schräge Reime. Die Songtexte, so könnte man sagen, bewegen sich quasi zwischen Spaß & Dada, enthalten aber auch eine große Portion Gesellschaftskritik. Gibt es literarische/ musikalische Vorbilder, die dich als Musiker/ Texter beeinflussen? Die „schrägen Reime“ sind – falls ich dich richtig verstehe – kein besonderes Merkmal für uns, sondern allgemein sehr gängig im Hip Hop und im zeitgenössischen Pop geworden. Gerne mehrsilbig, gerne unrein. „Haus“ aus „Maus“ und „gehen“ auf stehen“ kann man machen, lieber aber „Minidisc“ auf „widerlich“ oder „(für sein) Audi ned zoihn“ auf „(in Bill) Kaulitz verknoit“. Wobei ich kein Reimfetischist bin und gerne einfache Lösungen bevorzuge, wenn sie dem Song besser dienen. Wir haben nach wie vor viel Spaß an bloßen Blödeleien, aber versuchen bei den Lyrics unser Augenmerk mehr und mehr auf Nachvollziehbarkeit, Konkretheit und das Sichtbarmachen politischer Haltungen zu legen – ohne ins Schmettern von Parolen zu verfallen. Vorbilder im engeren Sinn gibt es nicht, aber freilich gibt es Künstler:innen, die mich beeinflusst haben. Um nur einige Namen zu nennen, die im Zusammenhang mit „Äffchen & Craigs“ vielleicht bedeutsam sind: H.C. Artmann, Lauryn Hill, Surro-gat, Fiva, Attwenger, Peaches, Danger Dan, Sookee, Austrofred, M.I.A., Kummer, Musheen, Kamp, Fuckhead, Valina, Hildegard Knef, Hgich.T, Cr7z, Texta, Markante Handlungen.
Wie darf man sich die Entstehung eines neuen Tracks vorstellen. Kommst du mit dem bereits fertigen Texten zu Craigs, der ja für die Drumbeats verantwortlich ist, oder wird da dann noch viel herumexperimentiert? Die Ressorts sind bei uns recht klar verteilt. Craigs komponiert die Musik und entwickelt den Schlagzeug-Groove, ich texte, rappe, singe. In unserer Anfangszeit war so gut wie immer der Beat zuerst da. Heutzutage arbeiten wir enger und früher zu-sammen, kritisieren einander mehr und der Text entsteht nun häufig vor der Musik oder zeitgleich mit ihr. Den Feinschliff besorgen wir jedenfalls gemeinsam.
Ihr seid unter anderem auch schon in Berlin aufgetreten. Wie geht es euren Fans in Deutschland? Verstehen sie alles oder kommen da oft Fragen? Klar verstehen sie nicht alles, aber mehr als wir vorab erwartet hätten. Und dass nicht jede Wortbedeutung sofort erfasst wird, ist auch nicht schlimm. Erstens entstehen durch die Nachfragen oft gute und amüsante Gespräche und zweitens punktet unser Dialekt auch jenseits des Inhalts: Meiner Erfahrung nach stößt der österreichische Sprachklang auch nördlich von Bayern vorwiegend auf Sympathie und wird schöner als so manch deutscher Dialekt empfunden. Dabei ist Sächsisch doch so sexy.
Was war euer lustigstes Erlebnis als „Äffchen & Craigs“? Derer sind zu viele.
Gibt es schon nächste Konzerttermine, die ihr uns verraten könnt? Am 7.6. spielen wir im Chelsea in Wien. Am 1.9. in Schlierbach (OÖ) – im Rahmen eines Literaturfestivals.
Vielen Dank. Zuletzt wie immer die Frage nach dem Lieblingsdialektwort. Wie lautet deines? Im Moment: „vawoadagelt“.
Äffchen & Craigs: EXTREMLIAB
Laut dem Duden bedeutet EXTREM: „äußerst…, bis an die äußerste Grenze gehend“. LIAB steht nicht drin. Beides passt hervorragend. Denn erstens helfen ÄFFCHEN & CRAIGS dem Universum beim Ausdehnen, und zweitens benötigt die Welt so viel Liebe, dass die Sprache versagt. Das oberösterreichische Duo ist äußerst dreist, äußerst elegant, äußerst puristisch: Schlagzeug plus Synthiesounds plus Stimme. Mehr brauchen die beiden nicht, um ihren Tracks Gestalt zu verleihen. Ob 80er-Pop oder schelmischer Hip Hop, Spoken Word-Komödie oder Digitalrockbanger: es ist kompakt und energetisch, widerspenstig und charmant. Die Texte bergen viel Schalk, viel Schock, viel Schönheit, sie sind renitent und ironisch, Dada mit Deepness. Das neue Album EXTREMLIAB versammelt wuchtige Bretter, Ohrwürmer, helle Hymnen.
„Ein Song nach dem anderen ein überzeugender Kopfnicker … 9/10“ (The Gap)
Der Grazer Liedermacher Franz K. singt Cohen-Lieder im Dialekt. Am 14. April spielt er mit seiner Band im Technologiezentrum Perg. Margarita Puntigam-Kinstner hat sich mit ihm in seinem Proberaum oberhalb des Babenberger Hofs zum Interview getroffen.
Deine Karriere als Musiker hat erst relativ spät begonnen. Wie kam es dazu? Das war circa Mitte der 90er-Jahre. Ich habe mich damals von einem Praktikanten bei der Lebenshilfe inspirieren lassen, der Musiker war, beziehungsweise noch immer ist. Das Gitarrenspiel habe ich mir dann selbst beigebracht. Meine erste CD entstand schließlich 1998. Auslöser waren damals zwei Ereignisse. Erstens, dass ein lieber Arbeitskollege von mir gestorben ist und zweitens, dass meine damalige Beziehung in die Brüche gegangen ist. Das Texten der Songs hat mir geholfen, mit der Situation umzugehen. Die CD „MIKE“ war ein Benefiz-Projekt, der Erlös der Verkäufe ging an die Witwe meines Arbeitskollegen, sie war Mutter von drei kleinen Kindern und stand plötzlich allein da – in einer Phase, in der sie und ihr Mann eigentlich gerade etwas aufbauen wollten.
Hast du damals schon im Dialekt getextet? Bei der ersten CD? Ja, zum Teil. Anfangs habe ich noch mehr auf Englisch gemacht, später kamen dann auch andere Sprachen, wie etwa das Kroatische, dazu. Aber der Dialekt hat sich dann als meine Sprache herausgestellt.
Du bist Sozialarbeiter und hast dich auch in deinem Job als Musiker und Texter eingebracht. Ja, das hat sich so ergeben. Als ich zur Jugendhilfe gewechselt bin, war mein erstes Projekt ein Musikprojekt. Aufgebaut war das so, dass die Jugendlichen mir erzählt haben, was sie bewegt, und ich habe daraus Songtexte im Dialekt geschrieben. Entstanden sind sehr gesellschaftskritische Nummern, am Ende wurde dann eine CD produziert und es gab 2001 – gemeinsam mit den Jugendlichen – ein Konzert in Kapfenberg. Das könnte man als Startpunkt meiner Karriere bezeichnen, von da an habe ich regelmäßig Songs geschrieben und bin damit auch aufgetreten. 2002 erschien dann wieder eine Benefiz-CD von mir, diesmal für Licht ins Dunkel. Der Titel lautete „Wohin“, gewidmet habe ich sie dem Verein Rainbows. Auf der CD war auch mein erster so genannter Hit, die „Klane Quölln“. Das war zu einer Zeit, in der ich schon abendfüllende Konzerte gegeben habe, oft auch schon mit Band. Im Publikum saßen meist so an die 50 bis 100 Leute. 2003 habe ich dann den Franz Hofer kennengelernt, von da an habe ich den Literarischen Flohmarkt mit meinen Kompositionen begleitet. Diese Auftritte habe ich immer sehr genossen. Wenn du Schreibende als Zuhörerschaft hast, dann merkst du, dass sie besonders auf die Texte achten. Da kam dann auch immer gutes Feedback, ich hatte ja fast ausschließlich gesellschaftskritische Nummern im Dialekt. Vor allem der Franz Hofer mochte meine Sachen. Er sagte immer zu mir: „Du bist noch sehr leise, aber irgendwann wirst du sehr laut sein.“
Du hast dann auch einen Text von Franz Hofer vertont. Genau. Das war nach seinem Tod, der mir sehr nahe ging. Ich habe einen Ausschnitt aus seinem Buch „Einen Tunnel ins Herz graben“ vertont, nämlich den „Liebesbrief“. Das Projekt habe ich gemeinsam mit meinem jüngeren Sohn Luka umgesetzt, der als Rapper aktiv ist.
Deine Söhne machen beide Musik – sind sie quasi in deine Fußstapfen getreten? Mein Jüngerer, der Luka, ist wie gesagt Rapper. Man findet ihn als »ONETAKE666« auf Soundcloud. Daniel ist Singer-Songwriter. Er tritt unter dem Namen »FEEL« auf und macht Grunge-Musik. Er war damit sogar schon im Radio zu hören. Manche vergleichen seinen Stil mit dem von Curd Cobain. Beide machen also etwas ganz anderes als ich, sowohl vom Musikstil her als auch sprachlich. Ich selbst sehe mich als Dialekt-Liedermacher.
Wieso hast du dich – nach anfänglichen englischen Texten – ganz für den Dialekt entschieden? Ich bin im Grazer Slang aufgewachsen und habe mich schon als Kind für Dialekte interessiert. Mit meinen Eltern kam ich viel in Österreich herum, später dann auch beruflich. Schon als Jugendlicher fand ich es faszinierend, dass in Bad Aussee ein anderer Dialekt zu hören ist als etwa in der Weststeiermark. Und in der Oststeiermark klingt er ja dann wieder ganz anders. Als ich Kind war, haben wir in Salzburg Skiurlaub gemacht. Der Dialekt dort hat mir besonders gut gefallen. Noch heute faszinieren mich diese kleinen Unterschiede. In der Sprache einer oberösterreichischen Freundin heißen die Erdäpfel „Erdöpfe“, in Kärnten sind es die „Erdapfalan“. Ich liebe diese Vielfalt. Und ich weiß, dass ich auch als Musiker meine Inhalte im Dialekt viel besser vermitteln kann. Ich möchte mich auch nicht strikt auf einen einzigen Dialekt einschränken lassen, ich trage mittlerweile ja viele Dialekte in mir. Mein Grazer Slang ist von allen möglichen anderen Dialekten beeinflusst – in der Landeshauptstadt kommen schließlich viele Menschen aus den unterschiedlichsten Regionen zusammen. Manchmal passt ein Ausdruck aus dem Ausseerischen oder Wienerischen einfach besser zu dem, was ich ausdrücken möchte, dann nehme ich mir die Freiheit und verwende ihn auch. In meinen Liedern finden also manchmal Sätze, die mit einem Wiener Ausdruck beginnen und etwa mit einem Wort im Kärntner Dialekt enden.
Wie schreibst du deine Songs? Ist bei dir zuerst eine Textzeile da, oder doch die Melodie? Hm. Eigentlich lässt sich das nicht so trennen. Wörter sind Musik. Sprich, die Sprache gibt mir automatisch immer eine Melodie vor. Vor allem im Dialekt ist ja viel Melodie drinnen. Jeder Dialekt hat seine ureigene Melodie.
Seit einigen Jahren trittst du mit Cohen-Liedern auf, die du in den Dialekt übersetzt hast. Wie kam es zu dem Projekt? Das ist eine spannende Geschichte. 2017, im dem Jahr nachdem Cohen gestorben ist, habe ich den Sommer in einem kroatischen Fischerdorf verbracht. Eines Abends bin ich dort auf der Terrasse gesessen und habe die Nummer „Suzanne“ rein akustisch auf meiner Gitarre gespielt. Eine Gruppe Pensionisten, die vorüber geschlendert ist, blieb stehen, um mir zuzuhören. Es hat sich dann ein Gespräch ergeben, bei dem ich erwähnt habe, dass ich mit Dialektliedern auftrete. Daraufhin wurde ich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, „Suzanne“ im Dialekt zu singen. Das war quasi der Startpunkt, ich selbst wäre nie auf die Idee gekommen. Ich habe Leonard Cohen immer schon sehr verehrt, ich liebe die Mischung aus seiner dunkelgrauen Stimme und dem hellen, weiblichen Background-Chor, auch gefällt mir, dass die Instrumentalisierung sehr reduziert ist. Nach dem Urlaub habe ich „Suzanne“ dann tatsächlich in den Dialekt übertragen. Und dann bin ich einfach weiter gegangen und habe begonnen, auch andere Lieder von ihm zu übersetzen. Das war – und ist noch immer – eine enorme Herausforderung für mich, da Cohen ein unheimlich großer Poet war. Mir ist es wichtig, seine Texte nicht Wort für Wort zu übersetzen, sondern den Sinn dahinter einzufangen.
Franz K. singt Leonard Cohens „Suzanne“ – „sSussal“– im steirischen Dialekt. . Das Video ist ein Live- Mitschnitt aus dem „ARTists“, Franz K wird von mit Petra Preiss (Gesang) und Sigrid Wollinger (Bratsche) begleitet
Du musstest dann ja auch die passenden Musiker*innen finden, um das Projekt für die Bühne zu realisieren. Wie bist du da vorgegangen? Das war tatsächlich ein sehr langer Prozess. In meinem Kopf ist alles schon fix, fertig gestanden, ich musste also herausfinden, wer den Part für mich am besten erfüllt und wer auch menschlich gut zusammenpasst. Ich habe dann aber wirklich großartige Musiker und Musikerinnen für dieses Projekt gewinnen können, wie zum Beispiel den Christoph Pichler, der für mich einer der besten Jazz- und Blues-Gitarristen Österreichs ist. Petra Preiss hat mich von Beginn an als Background-Sängerin begleitet. Dann kam Alfred Valta am Kontrabass dazu, anfangs war auch noch Boris Mihaljčić an der Geige dabei, später hat Sigrid Wollinger den Part an der Geige beziehungsweise Bratsche übernommen. Mittlerweile haben wir auch Bettina Kollmann dabei – eine großartige Jazzsängerin mit einer wahnsinnig souligen Stimme, die ich vor vielen Jahren im Babenberger Hof gehört und dann aus den Augen verloren hatte. Der Zufall hat uns wieder zusammengeführt und zu meinem Glück hat sie sich gleich für das Projekt begeistert. Wenn wir heute auftreten, geben wir ja nicht nur die Cohen-Nummern zum Besten, wenngleich sie natürlich der Aufhänger sind. Wir haben auch Jazz-Nummern im Programm, wie etwa die Autumn Leaves, die bei uns „Heabstblattln fliagn“ heißen. Und auch meine Eigenkompositionen spielen wir, wie etwa die „Pepica“ – ein Lied, das ich einer verstorbenen Bekannten aus Kroatien gewidmet habe–, oder auch meine zwei Hits „On the Mountains“ und die „Klane Qullön“. Diese Lieder braucht es, um das Publikum aufzulockern, danach kehren wir wieder zu Cohen zurück.
Du suchst dir für jedes Projekt neue Musiker*innen. Wie begibst du dich da auf die Suche? Kennst du die Leute schon oder ergeben sich da spontane Zusammenarbeiten? Die Grazer Szene ist ja recht überschaubar. Wenn man da mal eine Zeitlang dabei ist, kennt man die Leute. Oder man kennt wen, der wieder jemanden fragen kann. So habe ich zum Beispiel auch den Florian Randacher kennengelernt, der mir wiederum einen Produzenten vorgestellt hat, und so weiter. Alfred Valta wurde mir sogar von einem Zuhörer empfohlen, der mich im Humboldt Keller gehört hat. Dass der gut zu mir passen könnte, meinte er.
Eines von Leonard Cohens bekanntesten und am öftesten gecoverten Liedern ist „Hallelujah“. Hast du dich da auch schon drüber gewagt? Das war tatsächlich ein Lied, das ich nie vorhatte, in den Dialekt zu übertragen. Erstens, weil sich Cohen gewünscht hat, dass es keine weiteren Cover-Versionen geben soll, zweitens, weil ich ziemlich lange gesessen bin, als ich tatsächlich einmal versucht habe, dieses Lied in den Dialekt zu übertragen. Ich habe dann aber eine gänzlich neue, zweite Version von Cohen entdeckt. Sie ist auf dem Album „Cohen Live“ von 1994 zu hören. Auf YouTube findet man das Lied als Original Best Version. Hier ist der Text ganz anders. Weil Cohens Kommunikation mit Gott irgendwann abgebrochen ist und er nicht mehr bekommen hat, was er gebraucht hätte. Diese Version ist ein gebrochenes, ein einsames Hallelujah. Und diesen Text habe ich dann auch viel besser verstanden als die ursprüngliche Version, die ja sehr ans alte Testament angelehnt ist. Ich habe dann ziemlich genau eine Stunde gebraucht, um Cohens 2. Version in den Dialekt zu übertragen. Diese Übersetzung spielen wir live, und die wollen wir dann auch aufnehmen.
Das heißt, es es wird bald eine neue „Franz K. singt Cohen“-CD geben? Da sind wir dran, ja. Wir haben ja schon 2018 eine CD aufgenommen, aber da die Rechte mit Sony Music noch immer nicht geklärt sind, dürfen wir sie nach wie vor nur zu Werbezwecken verschenken. Ich habe gehofft, dass dieser rechtliche Prozess schneller geht, aber leider ist es ziemlich mühsam, da weiterzukommen. Ich muss Dialekt-Übertragungen auch immer ins Hochdeutsche übersetzen, weil die dort prüfen wollen, ob ich den Sinn richtig erfasst habe. Es hat sich aber herausgestellt, dass ich Live-Aufnahmen mitschneiden und auf CD pressen darf. Also machen wir das demnächst.
Gibt es auch schon Ideen für nächste Projekte? Ich bin an einer Sache mit meinen beiden Söhnen dran, aber das wird noch dauern. Nach der Cohen-Geschichte würde es mich reizen, auch andere Liedermacher zu übersetzen. Paolo Conte ist eine Idee von mir, auch Zuchhero würde ich sehr gerne in den Dialekt übertragen. Aber ich bin noch lange nicht soweit, ich muss erst die Sprache lernen, damit ich mich nicht auf Übersetzungen anderer verlassen muss. Das wird also wahrscheinlich ein paar Jahre dauern. Im Moment bin ich aber sowieso noch am Übersetzen neuer Cohen-Songs und am Perfektionieren der älteren. Und natürlich gibt es dazwischen auch eigene Kompositionen.
Apropos. Wann ist eigentlich euer nächstes Konzert? Und wo finden Interessierte deine Ankündigungen? Wir spielen am 14. April in Perg im Marchland. Um zu sehen, was sich bei mir so tut, schaut man am besten auf Facebook vorbei, dort findet man mich unter FranzK. Liedermacher.
Zum Schluss noch eine Frage, die wir beim MORGENSCHTEAN besonders gerne stellen: Was ist dein Lieblings-Dialeketwort? Puh … Da muss ich überlegen. Es gibt viele Sprüche, die ich mag, wie etwa „In der Ruhe liegt die Kraft“. Die Ruhe ist überhaupt meins. Insofern passt vielleicht „gmiatlich“. Ja, „gmiatlich“, das passt zu mir. Außer in der Musik. Die sollte auf gut Steirisch dann schon auch „spaunnend“ sein.
Annemarie Regensburger feiert als Vorkämpferin der Tiroler Dialektlyrik ihren 75. Geburtstag
Saftige Almwiesen, glückliche Kühe, das Lächeln in Lederhosen – und dazwischen das Elend der Anderen, die einzementierte Ungerechtigkeit, das eiserne Schweigen: Dass Dialektliteratur die kleine, große Welt in Tirol heute nicht länger nur in schöne, heimatlich-herzanrührende Worte hüllt, ist zu einem wesentlichen Teil der Schriftstellerin Annemarie Regensburger zu verdanken. Sie feiert heute ihren 75. Geburtstag – und bleibt eine Ikone mit Biss.
Wenn sich g’standene Tiroler im Knödelessen messen, bleibt nichts zurück – kein Sinn, kein Zweck und erst recht kein Krümchen für die knurrenden Mägen im Abseits. Die Allermeisten zucken da landesüblich mit den Schultern. Andere aber, die zücken die Feder: So wie Annemarie Regensburger, deren Gedicht über dieses Fressen weit vor jeglicher Moral am 6. November 1980 allerorts aneckt, aufregt und aufweckt – im verschlafenen Städtchen Imst, wo die Schemen einst zu laufen gelernt haben und der Schatten seit jeher verbirgt, wie wir wirklich sind.
Gesprengte Ketten im stillen Kämmerlein
Für einen Moment ans Licht gezerrt hat‘s diese allererste Veröffentlichung einer 32-Jährigen. „Schon noch ein wenig holprig“, sagt sie und schmunzelt heute über diese ersten Verse, diese ersten Schritte, die rund 40 Jahre später zum renommierten Otto-Grünmandl-Preis führen werden.
Davor stehen aber allerlei weitere Preise, zahllose Veröffentlichungen und mehrere Bücher, rund 800 Lesungen und überhaupt eben ein ganzes Leben, von dem Annemarie Regensburger in ihrer Autobiographie erzählt. „Gewachsen im Schatten“ ist dabei nicht nur gewählter Titel, sondern auferlegtes Schicksal – auch für eine ganze Generation an Frauen, für die Regensburger in Tirol zur Stimme geworden hat. Die Schriftstellerin ist eine unter ihnen, gerade zu Beginn ihres Schaffens, das 1980 dort beginnt, wo niemand hinsieht: zuhause, bei den Kindern.
Um bei ihnen zu sein, gibt Regensburger weniger aus Erwartung, mehr aus der Notwendigkeit heraus ihren Beruf, ihre Stelle als Chefköchin, auf. „Zumindest so lange, bis die Kinder groß sind“, sagt sie sich damals, so wie viele Frauen. Die beginnende Erkrankung an Polyarthritis aber lässt die Rückkehr ins bisherige Berufsleben dann plötzlich in weite Ferne rücken, während die Wände näherkommen, der Nachwuchs größer und das Leben allmählich still wird.
Mit jedem Tag scheinen die Wasser der Seele so dunkler, tiefer zu werden, die Oberfläche dieses Sees kaum noch von Wellen, diesen konzentrischen Kreisen gezeichnet zu sein – bis es zu brodeln beginnt und dieses Knödel-Wettessen als Geschmacklosigkeit wieder wachruft, was da schon immer war. Diesen Zorn, dieses Aufbegehren gegen das Falsche, das selbstverständlich geworden ist, bringt die Schriftstellerin zu Papier – und bis heute hat sie nicht damit aufgehört, schreibt noch immer drei, vier Texte pro Tag. „Das Schreiben hat mir nicht nur aus dem Schatten, aus der Stille geholfen“, sagt Regensburger: „Es hat mich befreit.“
Eine Ballade bricht das Schweigen
Das hat es schon einmal, viele Jahrzehnte zuvor, als ein kleines Mädchen wortlos vor dem Grab ihrer Mutter steht. Jahrelang hatte sie zuvor als Oberhaupt der Familie mit vier Kindern einen Bauernhof am Dorfrand von Stams geführt, nachdem der Vater in die Psychiatrie gekommen ist. Sie könne sich noch genau erinnern, wie das damals war, als der Wagen vorgefahren ist und den „Tate“ mitgenommen hat, sagt Regensburger leise.
Mit Klauen und Zähnen hätte sich die Mutter danach gegen die angedrohte Pachtauflösung gewehrt, umso härter gearbeitet, die Schwielen an den Händen hinter einem Lächeln, hinter fröhlichen Witzen versteckt – bis eine Lungenembolie ihre Kinder eines Tages zu Halbwaisen machte.
Die neunjährige Annemarie wächst daraufhin bei Verwandten auf, wird im Dorf wegen der Erkrankung des Vaters als „Tochter eines Verrückten“ zur Außenseiterin, während sie versucht, das Gesicht der Mutter, ihre Güte, ihren Humor, ihren Mut im Herzen zu behalten. In der Schule fällt sie durch Scharfsinn, ihre rebellische Natur auf. Mit ihrem Schmerz aber bleibt sie allein: „Niemand wollte mit mir darüber reden – nicht über die Mutter, nicht über den Vater“, sagt Regensburger. „Ich sollte vergessen. Das habe ich aber nie.“
Deshalb steht sie als Zwölfjährige vor dem Grab ihrer Mutter: wortlos, aber nicht mit leeren Händen. Auf das Grab legt sie ihre erste, selbstgeschriebene Ballade als Erinnerung an die Mutter – und an die Wärme in ihrer Umarmung nach jedem Gedicht, das ihre Tochter ihr präsentiert hat, als sie noch am Leben war.
Weil genug für alle da ist
Vielleicht ist diese erfahrene Liebe der Grund, warum Annemarie Regensburger – heute die Grande Dame der Tiroler Dialektdichtung – nicht nur schreibt, sondern auch andere dazu ermutigt: in Schulen, in Textwerkstätten und über den „Wortraum“, den sie als Plattform für Schreibende im Tiroler Oberland gegründet hat. Heranwachsende Konkurrenz fürchte sie nicht, sagt sie und lächelt: „Weil ja genug für alle da ist, für jede und jeden.“
Diese Wahrheit treibt Regensburger wohl auch bis heute an, ihre Verse für Gerechtigkeit und Gleichheit, für Offenheit und Akzeptanz sprechen zu lassen – nicht nur, aber am liebsten im Dialekt, „weil’s die Sprache meines Herzens, meine eigentliche Muttersprache ist“, sagt sie.
Neben ihrem literarischen Schaffen hat sich Regensburger übrigens auch ins Berufsleben zurückgekämpft: nicht als Chefköchin, sondern als Erwachsenenbildnerin, um anderen – speziell Frauen – den Rücken zu stärken, ihnen Mut zu machen. Ganz ähnlich, wie ihr Ehemann Blasius im ganzen literarischen Anecken stets ihr „Fels in der Brandung“ gewesen sei: „Mit meinem wunderbaren Mann hatte ich großes Glück. Von einem solchen Glück sollte aber keine Frau, kein Mensch jemals abhängig sein“, sagt die Tiroler Dichterfürstin und Vorkämpferin für Frauenrechte, die heute ihren 75. Geburtstag feiert.
„Am Anfang hat’s mich g’rissen, auch der Gedanke an die Sterblichkeit“, sagt Annemarie Regensburger, umringt von sechs Enkelkindern, und lacht: „Langsam lerne ich aber, Ja zum Alter zu sagen. Ich bin sogar ein wenig milder geworden.“ Das sei einer streitbaren Poetin wohl ruhig vergönnt, obwohl Tirol und die Welt gewiss noch lange auf ihr Nein angewiesen wäre – damit so mancher Knödel im Hals stecken bleibt, wie er sollte.
Manuel Matt
Annemarie Regensburger wurde am 20.3. 1948 in Stams geboren und lebt heute in Imst. Sie ist seit mehr als 30 Jahren Mitglied bei Ö.D.A. Ihre Texte sind in zahlreichen Ausgaben des Morgenschtean zu lesen – auch in der kommenden, im Mai erscheinenden Nummer ist die Autorin wieder mit zwei Gedichten vertreten. Damit beweist sie, dass sie auch heute noch die Redaktionsmitglieder aller Generationen mit ihren kritischen Texten überzeugt.
Sieht man sich Regensburgers Publikationsliste an, so erkennt man schnell, dass die Autorin nicht nur eine der produktivsten, sondern auch eine der vielfältigsten Literat:innen unseres Vereins ist. Ob Hochdeutsch oder Dialekt, ob Prosa oder Lyrik, ob Biografie oder Psalm – eines ist bei Annemarie Regensburger immer Programm: die Qualität.
Dass sie trotz ihres vielfältigen Schaffens keineswegs zu jenen zählt, denen es ausschließlich um die eigenen Texte geht, davon zeugen nicht nur die Anthologien zur Förderung der Tiroler Dialektliteratur, die von Annemarie Regensburger herausgegeben wurden und zur Plattform für jüngere Generationen wurden, sondern auch die vielen Zusammenarbeiten mit Tiroler Künstler:innen diverser Sparten sowie die Mitbegründung des „wortraum plattform für oberländer autorInnen“, dessen Obfrau sie lange war.
Nadia Rungger, geboren 1998, lebt in Gröden/Südtirol. Ihr Debüt „Das Blatt mit den Lösungen“ – Erzählungen und Gedichte erschien 2020 im Verlag A. Weger. Die Autorin erhielt bisher mehrere Auszeichnungen für deutsch- und ladinischsprachige Prosa und Lyrik, u. a. den Internationalen Literaturpreis Im aktuellen Morgenschtean finden Sie ein Gedicht von Nadia Rungger in ladinischer Sprache.
Deine Muttersprache ist ja tatsächlich das Ladinische. Wie war das so als Kind? Wann warst du das erste Mal mit der italienischen Sprache konfrontiert und wann hast du Deutsch gelernt? Meine Muttersprache ist Ladinisch, meine Eltern haben immer Ladinisch mit mir gesprochen und auch heute reden wir zu Hause nur Ladinisch. Mit Deutsch und Italienisch war ich durch das Schulsystem bereits im Kindergarten konfrontiert. Es ist eine eigenartige Erfahrung, aufzuwachsen und irgendwann zu merken, dass die eigene Sprache bereits wenige Kilometer von zu Hause „aufhört“. Natürlich hat jede Sprache ihre Grenzen, aber der Radius der ladinischen Sprache ist ein besonderer; für mich schien er zunächst eng und wurde dann doch weit. Da die ladinische Sprache aus mehreren Idiomen besteht, beläuft sich die Anzahl der Sprecher:innen, die „mein“ Ladinisch sprechen, auf mehr oder weniger drei Dörfer. Zu den anderen Idiomen habe ich durch die Literatur Kontakte knüpfen können; ebenso zum Rätoromanisch der Schweiz. Ich beschäftige mich im Moment näher mit der ladinischen Sprache und ihren mehr oder weniger entfernten Nachbarinnen, für mich ein Prozess, die Möglichkeiten meiner Muttersprache neu zu definieren und ihre Bedeutung für mich und für mein Schreiben zu erfassen.
In welcher / welchen Sprache(n) wurdest du in den ersten Jahren unterrichtet? Deutsch und Italienisch sind gleichgestellte Unterrichtssprachen, dazu kommen zwei Ladinischstunden pro Woche.
Ladinisch ist ja auch Amtssprache. Wie sieht es mit der ladinischen Rechtschreibung aus? Gibt es hier allgemein gültige Regeln? Und hält sich da jeder dran, oder gibt es bei privaten Notizen/ Korrespondenzen doch noch große Unterschiede? Es gibt Grammatiken, Wörterbücher, Sprachprüfungen und Sprachzertifizierungen und somit auch allgemein gültige Regeln. Bei den wenigen Ladinischstunden in der Schule darf es einen aber nicht wundern, wenn die italienische oder deutsche Grammatik und Rechtschreibung besser gelernt werden als die ladinische. Ich zum Beispiel hatte ab der Mittelschule keinen Unterricht mehr in meiner Muttersprache, da ich eine Oberschule außerhalb der ladinischen Täler besucht habe. Nach einem Germanistikstudium kenne und beherrsche ich die deutsche Grammatik und Rechtschreibung besser als die ladinische.
In welcher/ welchen Sprache(n) schreibst du vorrangig? Ich schreibe auf Deutsch und einiges auch auf Ladinisch. Aber die Frage, inwiefern sich das trennen lässt, beschäftigt mich. Ich denke, dass Mehrsprachigkeit mein Spiel mit Sprache sehr beeinflusst. Auch wenn ein Gedicht sich an der Oberfläche deutsch liest, waren andere Sprachen an seinem Entstehen beteiligt. Abseits vom literarischen Schreiben verwende ich die Sprachen je nach Kontext. Einkaufsliste auf Ladinisch, Tagebuch auf Deutsch. Vielleicht für mich auch eine Möglichkeit, das Geschehene mit einer Distanz zu reflektieren.
Du hast 2014 an einem Ladinischen Literaturwettbewerb teilgenommen und auch gewonnen. Wie kamst du auf die Idee, dort mitzumachen? Eine Freundin meiner Mutter, eine Ladinisch-Lehrerin, hat mich auf den Literaturwettbewerb aufmerksam gemacht. Das Thema war Vester ladins te n mond che muda (Ladiner:innen sein in einer Welt, die sich verändert). Ich habe zunächst einen Text über zwei Frauen geschrieben N di de plueia / Ein Regentag. Die junge Frau will auf Reisen gehen, während die andere zurück nach Hause fährt. Dann habe ich noch einen zweiten Text geschrieben, der sich kritischer mit dem Thema auseinandergesetzt hat, in der Form eines Dialogs zwischen zwei Freunden. Der Ladinische Literaturwettbewerb 2014 war mein erster Literaturpreis, eine schöne Erfahrung und ein wichtiger Schritt für mein weiteres Schreiben. Besonders für eine kleine Sprache sind Literaturpreise sehr wichtig. Doch wir brauchen einen Diskurs, eine Rezeption. Eine Literatur lebt von ihren Texten, von ihren Autor:innen und vor allem auch vom Austausch mit anderen Literaturen. Ich bin davon überzeugt, dass Interesse da ist und wünsche mir für die junge ladinische Literatur, dass Möglichkeiten der Übersetzung geschaffen werden, damit sie über ihre sprachlichen Grenzen hinaus in einen Dialog treten kann.
Du hast bereits einige andere Literaturpreise verliehen bekommen, mittlerweile studierst du Angewandte Linguistik an der Freien Universität Bozen, davor hast du Germanistik in Graz studiert. Wie sehen deine weiteren Pläne aus? Bleibst du nun in Südtirol – oder ist das noch nicht sicher? Für den Moment fühle ich mich hier sehr wohl, das Schreiben in dieser Umgebung, das Studium und die Beschäftigung mit der ladinischen Sprache gefallen mir und greifen gut ineinander. Was danach kommt, kann ich noch nicht sagen.
Vor zwei Jahren erschien dein Debüt „Das Blatt mit den Lösungen“, ein Band mit Gedichten und Erzählungen. Wirst du bei der kurzen Form bleiben? Bzw. hast du vielleicht schon ein neues Projekt in Planung? Ich schließe gerade ein Lyrikmanuskript ab, und wenn ich soweit bin, suche ich nach Möglichkeiten einer Veröffentlichung. Im Moment schreibe ich auch an einem längeren mehrsprachigen Prosatext, es gibt einige Projekte im Bereich der Lyrik und Lesungen. Im nächsten Jahr nehme ich an zwei Literaturfestivals statt. Die Einladungen haben mich geehrt und ich freue mich schon sehr auf den Austausch.
Vielen herzlichen Dank für deine Antworten!
Hinweis: Ein Porträt der Autorin in ladinischer Sprache finden Sie HIER
paroles sutes y moles von Nadia Rungger
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Gedichte von Nadia Rungger, (Hinweis: „paroles sutes y moles“ hören Sie ab min 5:20)
Der Roman „Die Rotte“ des 1965 in Wien geborenen Autors Marcus Fischer erschien Ende August im Buchverlag Leykam und gehört ganz eindeutig zu den Highlights des diesjährigen Herbstprogramms. Margarita Puntigam Kinstner hat dem Autor Ende Oktober ein paar Fragen gestellt.
Für deinen Roman „Die Rotte“ hast du eine ganz eigene, sehr österreichische Form der Erzählsprache gewählt, die einerseits durch die Verwendung des Perfekt an eine mündliche Erzählung erinnert, auf der anderen Seite jedoch viel bildreicher und dichter ist und vor allem wunderbar atmosphärisch. Wieso hast du dich dafür entschieden, deinen Roman in diesem Ton zu erzählen? Weil es für mich die einzig stimmige Form war, mich dieser Zeit und dieser abgeschiedenen Siedlung anzunähern. Die Erzählstimme bleibt zwar anonym, stammt aber von dort. Das Präteritum hat einfach falsch geklungen, nach Schriftsprache und nach einer Erzählinstanz, die von außen über das Geschehen redet. Das durchgehende Perfekt hat natürlich mit den vielen Hilfsverben auch Probleme geschaffen, ich musste irgendwie diese Überfülle an „haben/sein/hat/ist/haben gehabt/sind gewesen“ etc. schlichten, da ist mir die recht freie Wortstellung, die der Dialekt erlaubt, sehr gelegen gekommen. Spannend war es aber auch, mit einem begrenzten Wortschatz (es gibt in dieser Sprache z.B. kein „blicken“, „betrachten“, „beobachten“ etc., sondern einfach nur „schauen“) die seelischen Zustände der Figuren, vor allem der Protagonistin zu beschreiben. Im Übrigen war die Sprache schon lange vor der eigentlichen Handlung da, ich hab mit der Erzählstimme experimentiert, ohne noch zu wissen, was ich im Detail erzählen möchte.
Die Handlung deines Romans spielt in der Rotte Ferchkogel am See, die aus nur wenigen Höfen besteht. Wie entstand die Idee, über eine abgeschiedene ländliche Gemeinschaft Anfang der 70er zu schreiben? Hast du zu dem beschriebenen Landstrich persönliche Bezugspunkte? Ja, ich hab meine halbe Kindheit in einem sehr kleinen, abgelegenen Dorf im südlichen Niederösterreich verbracht. Und weil es dort keinen See gibt, hab ich den Ort weiter nach Westen gerückt, irgendwo zwischen Hochschwab und Ötscher.
Was mich an deinem Roman besonders berührt hat, war die Beschreibung von Elfis Depression, die du so authentisch zeichnest, dass man sie direkt spürt. Hast du deine Hauptfigur von Anfang an so intensiv gespürt oder hat sich das während des Schreibprozesses nach und nach ergeben? Elfi war sehr früh da, vor allem ihre „dunklen“ Zustände. Da konnte ich mich zum einen gut hineinversetzen, zum anderen sind aber auch Gespräche und Interviews eingeflossen, die ich geführt habe. Unter anderem mit einer Bäuerin, die in den 80er Jahren von einem Tag auf den anderen schwer depressiv wurde. Ihr erster Gedanke nach dem Aufwachen bestand darin, sich Szenarien zu überlegen, wie sie sich so umbringen könnte, dass es nach einem Unfalltod ausschaut. Wenn man sich dann noch vorstellt, dass Depression damals nicht als Krankheit erkannt wurde, kann man sich vorstellen, wie aussichtslos so eine Situation ist. Man hat ja damals vom Arzt nur Schlaftabletten verschrieben bekommen und gute Ratschläge in Richtung, man soll sich zusammenreißen und nicht so gehen lassen.
Trotz des schweren Themas liest sich der Roman sehr flüssig und vor allem spannend. Mit dem angeblichen Selbstmord von Elfis Vater scheint ja etwas nicht zu stimmen, und auch die Beschreibung der einzelnen Dorfbewohner hat bei mir dazu geführt, dass es mich stellenweise so richtig gegruselt hat beim Lesen. Dass man da so intensiv mitlebt, liegt vor allem daran, dass du Klischees vermeidest und genau beobachtest, ohne selbst zu werten. Wie hast du dich deinen Figuren genähert? Ich nehme an, dahinter stecken viele Gespräche, viel Recherchearbeit? Elfi und ihre Gegenspieler, der Firnbichler und seine Frau, waren für mich der Ausgangspunkt. Zum Teil sind diese Figuren von realen Menschen beeinflusst, zumindest in ihrem Grundcharakter. Dass der Firnbichler und die Martha so übermächtig erscheinen, liegt auch an Elfis Wahrnehmung, weil wir die beiden ja sehr stark aus ihren Augen sehen. Zum anderen war der soziale Umgang miteinander damals einfach härter als heute. Ein älterer Herr aus der Steiermark hat das in einem Gespräch einmal achselzuckend als „harten Spaß“ bezeichnet, was wir heute als Mobbing und seelische Gewalt erkennen und beim Namen nennen können. Vieles von dieser Brutalität macht natürlich auch die Spannung im Roman aus, weil es Konflikte nährt.
Dein Roman ist durchaus ein feministischer Roman. Es geht um männliche Bevormundung und sexuelle Gewalt, es geht aber auch und vor allem um den Zusammenhalt zwischen den Frauen in der Rotte, der sich erst entwickeln muss. War dir das ein Anliegen? Zu zeigen, dass man mit vereinten Kräften durchaus die Möglichkeit hat, traditionellen Strukturen zu trotzen? Ich habe versucht, das Machtgefüge in dieser Rotte zu beschreiben – und das möglichst vielschichtig. Da gibt es die patriarchale Öffentlichkeit, in der Frauen weitgehend rechtlos sind, in der sexuelle Belästigung und Gewalt geduldet werden. Zugleich gibt es die Gewalt von Frauen gegen Frauen – Elfis Mutter Lisbeth missbraucht ihre Tochter körperlich und seelisch, Martha Firnbichler spielt ihre soziale Macht der Kleinbäuerin Elfi gegenüber auf jede erdenkliche Weise aus. Und natürlich üben auch die Männer untereinander Gewalt aus – wie die seelische Brutalität des „Alphatiers“ Firnbichler gegenüber dem „Schwächling“ Gernot. Elfi aus diesem Machtgefüge zu befreien, hier eine Lösung zu finden, die nicht aufgesetzt wirkt, hat gedauert, weil es innerhalb des Dorfes fast aussichtslos erschien. Letztlich führt die Unterstützung der gut ausgebildeten, selbstbewussten, von außen kommenden Eva die Wende herbei. Insofern war es weniger der Wunsch zu zeigen: „So geht’s!“ als der einzig plausible Ausweg in dieser Situation. Aber wahrscheinlich ist es unter solchen Umständen auch in der Realität der einzig mögliche Weg.
Wenn ich an manche Gemeinden in der Steiermark denke, in denen noch immer um den Grund gestritten und gedroht wird, wenn jemand stirbt, in denen Frauen noch immer vom Geld des Mannes abhängig sind und sexuelle Belästigung nach wie vor als etwas angesehen wird, das völlig normal ist und das man als Frau lächelnd erdulden soll, habe ich das Gefühl, dass sich noch immer viel zu wenig verändert hat. Wahrscheinlich hat mich dein Roman deswegen so angesprochen.Wie siehst du das? Wie würde es Elfi im Jahr 2022 ergehen? Ja, manches hat sich verändert. Es gibt natürlich Ausnahmen – Frauen, die es schaffen, dank Erziehung, Beruf oder Bildung ihren eigenen Weg zu gehen. Und Männer, die sich den väterlichen und dörflichen Hierarchien und Rollenbildern entziehen. Aber es ist schwer, gerade wenn ein Hof dranhängt. Wenn diese Schritte nach vorn fehlen, kann sich diese Geschichte vielleicht wirklich auch heute noch so zutragen.
Und zu guter Letzt: Gibt es schon ein neues Projekt – und falls ja, dürfen wir schon etwas darüber erfahren? Ja, es gibt ein neues Projekt. Es wird um einen Mann gehen, der das Gefühl hat, sein Leben hätte auch ohne ihn passieren können. Während bei der Elfi eher die weibliche „Zurichtung“ in der Dorfgemeinschaft im Vordergrund stand, wird es hier mehr um die männliche „Zurichtung“ durch Arbeit gehen. Aber wie bei der Rotte bin ich hier zunächst einmal auf der Suche nach der stimmigen Sprache. Und das dauert.
****** Eine Rezension können Sie in der 👉 neuen Ausgabe lesen.
****** Informationen zum Buch: Elfi Reisinger, eine junge Bäuerin, lebt Anfang der 1970er Jahre mit ihren Eltern auf einem kleinen Hof in der Rotte Ferchkogel, einer abgelegenen Siedlung im Voralpenland. Ihr Vater verschwindet eines Nachts, die Gendarmerie geht von Selbstmord aus. Durch den Tod des Bauern verschiebt sich das Gefüge in der Rotte. Die anderen im Dorf trauen den beiden Frauen nicht zu, den ärmlichen Hof weiterzuführen. Der Nachbar will den Grund für einen Spottpreis kaufen und setzt die Frauen immer mehr unter Druck. Als mit Elfis Hochzeit endlich wieder ein Mann an den Hof kommt, spitzt sich die Lage weiter zu und Elfi muss einen Weg finden, um sich aus diesem Machtgefüge zu befreien. Es ist der unvergleichliche Sound von Marcus Fischer, der die Abgründe eines Provinzdorfes in seiner beiläufigen Brutalität zutage bringt. Die Erzählstimme ist mal einfühlsam, fast liebevoll, dann wieder spitzzüngig, immer dicht an ihren Figuren: fesselnd und berührend.
Marcus Fischer Die Rotte Leykam, 2022 ISBN 978-3-7011-8251-0 € 23,50 | 304 Seiten
Marcus Fischer, 1965 in Wien geboren, lebt als selbstständiger Texter und Autor in Wien. Er studierte Germanistik in Berlin und arbeitete einige Jahre als Lehrer für Deutsch als Fremdsprache, außerdem als Texter in Berlin und Wien. 2015 gewann er mit »Wild-Campen« den FM4- Kurzgeschichtenwettbewerb.
An deinem 70. Geburtstag ist dein Roman „Partnerlook“ erschienen. Das wievielte Buch von dir ist das jetzt – weißt du das? Ich glaube, das achtunddreißigste.
In deinem Roman geht es um ein Ehepaar, das bei dem titelgebenden Partnervermittlungsinstitut „Partnerlook“ anheuert, um einander beim Flirt mit Fremden zu beobachten. Dabei lässt du die Frauen in Monologen zu Wort kommen. Wie bist du auf die Idee gekommen? Ich liebe Akzente, Idiolekte und Soziolekte, und finde zeitgenössische Sprachverschandelung zumindest unterhaltsam. In Monologen sind Romanfiguren leichter darstellbar als in auktorialen Kommentaren und selbst in erlebter Rede. Im besten Fall entsteht die Illusion, dass der Autor/die Autorin gar nichts tut.
Dein Werk ist nicht nur sehr umfangreich, sondern vor allem sehr vielseitig. Voriges Jahr erschien „100 Jahre Seewinkel“, in dem du Anekdoten erzählst, Mythen auf den Grund gehst, Kultur- und Zeitgeschichtliches festhältst und vom alltäglichen Leben berichtest. Diesen Sommer wiederum erschien der zweite Band von „Weana Gschicht und Weana Gschichtln“. Da kommt die Frage auf: Schreibst du immer an mehreren Manuskripten parallel? Eigentlich nicht. Ich schreib nur zwischendurch Kurzgeschichten, wenn mir was ein- oder auffällt. Mittlerweile hab ich gut 150 unveröffentlichte auf Lager.
Auch mit deiner Wahlheimat Kärnten hast du dich auseinandergesetzt – 2014 erschien „Dorf der Seele – Geschichten aus der Kärntner Umgebung“. Wie näherst du dich als Wiener Schriftsteller deiner Wahlheimat? Mit der in jeder aufrichtigen Liebesbeziehung unentbehrlichen Ambivalenz.
Diesen Sommer erschien der zweite Band von „Weana Gschicht und Weana Gschichtln“. Du startest mit dem Ende der Monarchie und berichtest bis zur Gegenwart, Band 1 beginnt sogar schon in der Steinzeit. Wie ist es dir gelungen, diesen gewaltigen Stoff in dieser Kürze darzustellen? Wenn ich im Dialekt spreche oder schreibe, bin ich nicht so umständlich wie in der sogenannten Hochsprache. Ich hab auch als Lehrer immer wieder meinen Wiener Dialekt benutzt, wenn ich was einfach und saftig ausdrücken wollte.
Wer schon einmal das Vergnügen hatte, dir zuzuhören, weiß, dass du ein begnadeter Geschichtenerzähler bist, mit einer Stimme, der man einfach gern lauscht, und einem Wiener Dialekt, den man heute kaum noch hört.Hast du einmal eine Sprecherausbildung genossen oder bist du ein Naturtalent? Ich hab keine Sprecherausbildung genossen, war aber immer ein passionierter Hinhörer, „Auditeur“ könnte man in Anlehnung an „Voyeur“ sagen.
Bist du als Kind mit dem Dialekt aufgewachsen, in dem du erzählst? Ja, ich bin mit diesem Dialekt aufgewachsen. Nur, wenn wir die Innenstadt betraten, sagte meine Mutter „Jetzt wird Hochdeitsch gredt“. Hochdeutsch habe ich schon als kleiner Bub durch häufiges Radiohören gelernt, als erste Fremdsprache quasi. Der Apparat war der schwarze Volksempfänger meiner südsteirischen Großmutter. Übrigens hat es weder in meiner mütterlichen noch in meiner väterlichen Verwandtschaft einen Nazi gegeben. Die konnten – Arbeiterklasse auf der einen, Handwerker-Meisterklasse auf der anderen Seite – den Nationalsozialismus nicht ausstehen.
Nun ist ja gerade das alte Wienerisch im heutigen Sinne alles andere als politisch korrekt. Die Frauen werden als „Wähwalähd“ bezeichnet, die Italiener als „Katzlmåcha“ und die Deutschen als „Mammelaadiŋnga“. Kannst du unseren jungen Leser:innen erklären, was es mit den Ausdrücken auf sich hat und wieso du dich dafür entschieden hast, sie in deinen ersten Lektionen zu verwenden? Ich habe die Stimme und die Sprache eines Wiener Altspatzen verwendet (der ich ja auch bin). Wenn ein Altwiener „Wähwalähd“ sagt, ist es wie wenn ein alter Tiroler „Wähwa“ (oder zu Mädchen „Gitschale“) sagt, oder eine Frau „Maŋnnsbühda“. Wertungsfrei. Die Katzlmåcha waren eigentlich Südtiroler „Gazzomacher“, als Hersteller erstklassiger Schöpflöffeln aus Holz, die sie in Österreich verkauften. Ich kann ganz gut Italienisch und bin in hohem Maß italophil, daher darf ich die Italienerinnen und -ener so nennen – alle Betroffenen, denen ich die Katzlmacheranekdote erzählt habe, haben gelacht. Ja, und ich bin ein wirklicher Liebhaber Deutschlands (und seiner Dialekte!). Ich betrachte die Deutschen als unsere Geschwister und mag sie sehr. Marmelade hab ich auch sehr gern, ich koch sie selber ein. Mit unserer beidseitigen Neigung zum Pallawatsch spiegeln wir oft einander. Über allem steht die Ambivalenz: Was sich liebt, das neckt sich.
Man merkt: Das arme Opfer Österreich geht dem Wickadl (der ja dein Alter Ego ist) mit der Zeit ganz schön auf die Nerven. In deinem Buch/Hörbuch erinnerst du unter anderem an die Anfänge der FPÖ, an die Waldheim-Affäre, und – ein paar Lektionen davor – auch an das Ende der ersten Demokratie unter Dollfuß und sagst: „Maŋnche Lähd tehdn eam woaschähnlich aa häht noo hochlleem låssn. Des san dee, wås iewa die EU und is Padlament måtschgan und sågŋ, dass a schtoaka Maŋ heagherad. Lähda is mit de schtoakŋ Manŋar a so, dass imma rechthaŋm miassn und kaan Widaschpruch nehd duidn. Fräulich gehd daŋnn schnölla wås wähda wiar in da füh kompliziartaran Demogratie, wo d’Lähd hoid glähchberechticht mitanaŋnda redn miaasn.“ War das mit ein Grund für dein Projekt? Daran zu erinnern, dass der Wunsch nach schneller Veränderung und einem starken Mann recht schnell wieder in düstere Zeiten führen kann? Ja. In Österreich sind mehr als 6o Prozent mit der Demokratie unzufrieden, 18 Prozent würden sie gern abschaffen. Ich fürchte, die Tendenz könnte angesichts der Pandemie, der Inflation und des Ukrainekriegs und seiner für uns spürbaren Folgen steigen.
Verrätst du uns vielleicht schon, was als Nächstes von dir kommt – oder ist das noch geheim? Ich würde gerne eine Anthologie eines Teils meiner 150 unveröffentlichten Kurzgeschichten herausbringen, muss das aber noch mit dem Winfried Gindl besprechen.
Dann wünschen wir, dass da bald etwas Schönes entsteht! Vielen Dank für deine Antworten.
Warum Literatur? Lesen war für mich schon in der Jugend Rückzug und Aufbruch gleichzeitig. Sobald das Buch aufgeschlagen war, vergaß ich alles um mich herum. Ich war jemand anderer, lebte in fernen Ländern, bereiste unbekannte Planeten, konnte Berge besteigen, in einem Schiff den Pazifik überqueren, war Forscherin, Detektivin, Superheldin. Noch heute kann ich in einem Buch versinken. Für kurze Zeit ist die Welt in Ordnung. Und nicht zuletzt bringt mich Literatur zum Nachdenken und lässt mich im besten Fall um eine Erkenntnis reicher sein.
Warum Dialektliteratur? Weil der Dialekt – besonders in der Lyrik – noch ein wenig tiefer schürft. Er spürt auf, was ganz tief in den Menschen ist. Rührt an etwas. Im Dialekt habe ich die Möglichkeit, mit nur einem Wort ein ganzes Universum hereinzulassen. Habelen zum Beispiel: In der Schriftsprache gibt es dieses Wort nicht und es lässt sich auch nicht mit liebkosen übersetzen. Es bedeutet viel mehr. Sich Zeit nehmen, Stille, Nähe, weckt Erinnerungen an Gerüche, Orte und Menschen. Eine kurze Erklärung bei Lesungen, dass man als Elternteil sein Kind habelet, reicht, und jede und jeder weiß, was gemeint ist und wie sich das anfühlt. Gefühle von Wohligkeit und Heimat bergen natürlich eine gewisse Gefahr: sich unversehens auf einer Gratwanderung zwischen Heimattümelei und falschem Patriotismus wiederzufinden. Deshalb soll der Dialekt keine Scheu vor gesellschaftlich brisanten Themen zeigen und Fragen scharf formulieren. Auch das gelingt über seine Knappheit.
Gibt es Vorbilder? Ja, die gibt es. Aber nicht dieses eine. Weder im Schreiben noch im Leben. Mehrere Menschen haben mich beeindruckt, mir Dinge gezeigt, mich ein Stück des Weges begleitet, ihre Geschichte mit mir geteilt. Einige davon älter, andere jünger. Einzelne sind Frauen aus meiner näheren Umgebung. Mutig und stark. Sie verloren ihre Lebensfreude trotz widriger Umstände nicht. Eine, welche ich aus der Ferne bewundere, über sie und von ihr lese, ist Alice Munro. Ihr Bild in der Zeitung, als sie den Literaturnobelpreis verliehen bekam, ist mir noch in guter Erinnerung. Das Strahlen ihrer Augen, umrahmt von Krähenfüßen, eine „weise Alte“.
Was liest du gerade? Wie immer mehrere Bücher gleichzeitig. Gerade fertig gelesen habe ich „Die Erfindung der Welt“ von Thomas Sautner. Das nächste im Stapel ist „Adas Raum“ von Sharon Dodua Otoo.
An welches Ereignis denkst du besonders gerne zurück? In diesen besonderen Zeiten: – an das letzte Livekonzert vor Corona am 7. März 2020 (Drehwerk und Andy Steiner Trio) – an den Poetry Slam im Alten Kino Landeck im Oktober 2020 mit Maske und Abstand (war ein Lichtblick und Hoffnungsschimmer)
Als Autorin: – an das Auspacken des Paketes mit den Exemplaren meines ersten eigenständigen Lyrikbandes und die Präsentation dazu
Und als Frau: – an die Geburt meiner drei Söhne
Woran arbeitest du derzeit? Einem Prosaprojekt. Das wollte ich schon länger. Bisher haben mir jedoch Zeit und Struktur gefehlt. Nun versuche ich mich darin. Dann gibt es da noch ein Herzensprojekt, welches fast fertig ist. Fotos und Texte. Sie entstanden letztes Jahr auf meinen Coronawanderungen. Und natürlich ein Lyrikprojekt im Dialekt – „Mein Herbarium der (Un-)kräuter“.
El Awadalla wird 65 – die Ö.D.A. gratuliert herzlich
Wenn man eine Frage zu Recht stellen darf, dann jene, ob es den Verein Ö.D.A. und die zugehörige Dialektzeitschrift Morgenschtean ohne das Engagement von El Awadalla überhaupt noch gäbe.
Die Jahre, in denen El Awadalla unserem Verein vorstand, waren nicht nur Jahre des ständig sinkenden Kulturbudgets (und das zu einer Zeit, in der es um unseren Verein nicht gerade rosig stand), sondern auch Jahre, in denen sich die politische Landschaft Österreichs nachhaltig veränderte. In diesen Zeiten ging es vor allem darum, den Mut nicht zu verlieren und weiterzukämpfen – für eine kritische Literatur abseits des Mainstreams und der großen Verkaufszahlen, für eine Dialektliteratur, die sich gegen eine Vereinnahmung durch die rechte Szene zur Wehr setzt und zeigt, dass Dialekt nichts mit Heimattümelei und Abschottung zu tun hat.
Seit jeher haben sich die Mitglieder der Ö.D.A. für eine tolerante, vielfältige Gesellschaft eingesetzt – eine Gesellschaft, in der man einander auf Augenhöhe begegnet, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Beruf, Geschlecht oder Dialekt. Nicht nur als Mitglied und Präsidentin (2001-2013) der Ö.D.A., sondern auch als Aktivistin, Autorin und Privatmensch (sofern sich dies überhaupt trennen lässt) hat sich El Awadalla stets für diese Werte stark gemacht. Literatur verbindet und bringt die Leut z’samm, Literatur erweitert den Erfahrungshorizont und führt zu mehr Toleranz, weil sie die Möglichkeit bietet, in fremde Köpfe, Sichtweisen und Lebensgeschichten zu schlüpfen. Gerade deswegen muss es niederschwellige Angebote geben, die für alle zugänglich sind.
„Ich schreibe. Ich veranstalte.“(1)
Ab Februar 2000 organisierte El Awadalla (gemeinsam mit Traude Korosa) eine der wohl wichtigsten politischen Aktionen von Literaturschaffenden in unserem Land: die Widerstandslesungen gegen die schwarz-blaue Regierung unter Kanzler Wolfgang Schüssel. Mehr als 400 Autor*innen beteiligten sich an diesen Lesungen, die über viele Wochen hinweg täglich und schließlich – bis zum endgültigen Ende der rechten Koalition – immer an den Donnerstagen stattfanden. Vorgetragen wurden nicht nur aktuelle Texte der teilnehmenden Literat*innen (2), sondern beispielsweise auch Texte von Fritz Grünbaum, Rosa Luxemburg oder Hugo Bettauer sowie Zeitungsartikel aus der Zwischenkriegszeit. Hohe Wellen schlugen vor allem die Lesungen aus den Prozessprotokollen zum Tod von Markus Omofuma.
Organisiert und ins Leben gerufen hat El Awadalla – die vor ihrer Tätigkeit bei der Ö.D.A. unter anderem Kassierin im WUK (1983–1984) und Vorstandsmitglied des Arbeitskreises Schreibender Frauen (1979–1987) war – vieles. Einiges davon ist uns heute so selbstverständlich und wohlbekannt, dass wir uns keine Gedanken mehr über die Ursprünge machen. Wie zum Beispiel das 1. Wiener Lesetheater.
Oder auch der Lise Meitner Literaturpreis, der 1994 anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Frauenreferates der Hochschülerschaft an der Technischen Universität gegründet wurde. Awadalla, die damals Sachbearbeiterin im Frauenreferat war, erinnert sich: „Wir hätten auch ein riesiges 10-Jahres-Fest feiern können, aber das wäre am nächsten Tag wieder vorbei gewesen.“(3) Der Literaturpreis – eine Idee von Awadalla, die im Team gut ankam – blieb. Alle zwei Jahre gab es eine neue Ausschreibung, alle drei Wettbewerbe folgte (dank Helga Gartner, die sich um die Finanzierung kümmerte) eine Publikation, die den Beweis antrat, dass Female Science Faction – so der Titel der ersten Anthologie (4) – ein überaus spannendes Feld in der Literatur ist und vor allem, dass Frauen in punkto technisches Wissen den Männern in nichts nachstehen. Selbstverständlich war diese Denkweise Mitte der 90er-Jahre noch lange nicht – ganz im Gegenteil. Noch im Jahr 1995 (!!) war es den Studentinnen des Bauingenieurwesens nicht erlaubt, bei einer verpflichtenden Lehrveranstaltung den Arlbergtunnel zu betreten – sie mussten draußen auf ihre männlichen Kommilitonen warten.
Der Lise Meitner Literaturpreis wurde voriges Jahr, nach 26-jährigem Bestehen, mit einer letzten Preisverleihung zum Abschluss gebracht.
Noch lange nicht zum Abschluss gebracht wird hoffentlich die Herausgabe des Morgenschtean. Dass es unsere Dialektzeitschrift überhaupt noch gibt, ist ebenfalls El Awadalla zu verdanken.2002 – vier Jahre nachdem die Herausgabe wegen finanzieller Probleme eingestellt hatte werden müssen – erschien endlich wieder eine Nummer. Und falls sich jemand wundert, was das „U“ in den Ausgaben-Bezeichnungen des Morgenschtean bedeutet (momentan planen wir gerade die Nummer U68-69): U kommt von Uhudla.
„Der Max Wachter (Anm. Gründer des Uhudla) hatte damals die Idee, den Morgenschtean als Beilage zu machen. Also haben wir die Zeitung im Stil vom Uhudla gestaltet, damit das dann zusammenpasst. Das war schon super, weil wir so eine viel größere Reichweite hatten. Der Morgenschtean hat sich in der Zeit bis zu 12.000 Mal verkauft.“(3)
„Ich bin keine Intellektuelle. Ich schreibe, ich veranstalte.“ (1) Das sagte El Awadalla über sich selbst in einem Gespräch mit Marietta Böning (Der Standard) anlässlich der 150. Widerstandslesung im Jahr 2003. Leser*innen, die uns bis hierher gefolgt sind, werden ahnen, dass hinter den harmlosen Worten „Ich veranstalte“ ein ganzes Universum steckt. Und wenn schon kein Universum, dann zumindest eine Galaxie.
Nehmen wir einen weiteren Stern. Zum Beispiel das Ohrwaschl. 2006, als der 6. Bezirk die ansässigen Vereine, Organisationen und Künstler*innen aufrief, sich etwas zum Thema „6. Sinn“ zu überlegen, ließ sich El Awadalla (damals Präsidentin der Ö.D.A.) kein zweites Mal bitten. Per Los wurden Partnerschaften mit Teilnehmenden aus anderen Bezirken gebildet – die Ö.D.A. hatte das Glück, eine Zusammenarbeit mit Veit Aschenbrenner Architekten zu „gewinnen“. Entstanden ist schließlich die begehbare Installation SprachSpiel HörGang, die am Fritz-Grünbaum-Platz (vor dem Haus des Meeres) aufgebaut wurde. Ausgehend von vier Dialektgedichten, die sich im Inneren der Installation befanden – zwei von Friedrich Achleitner, eines von Markus Köhle und eines von El Awadalla selbst – waren die Besucher*innen aufgefordert, eigene Werke zu hinterlassen. Die gespendeten Texte wurden regelmäßig eingelesen, auf CD gebrannt und in der Installation abgespielt. (5)
Nach dem Abbau fand El Awadalla es zu schade, das Ohrwaschl einfach wieder zu vergessen. Deswegen wanderte das Projekt weiter – zur Urania, zu den O-Tönen im Museumsquartier und schließlich noch zum Höfefest in Sankt Pölten. Die Finanzierung der kam zu einem großen Teil von Awadalla selbst. („Ich hab damals ein bisserl was von meiner Million hineingesteckt.“(6))
Das Projekt wurde ein Erfolg – unzählige Menschen hinterließen Texte und Zeichnungen. Auch mehrere Live-Lesungen gab es, ein besonderes Highlight war die Lesung von Andreas Nastl für Gehörlose, der mehr als 200 Besucher*innen beiwohnten.
Apropos Gehörlose. Springen wir ein paar Sterne weiter in Awadallas Galaxie, dann stoßen wir auf den Gebärden-Slam. 2013 fand er das erste Mal statt. „Ich hab einfach mal getan“(3), erinnert sich Awadalla. Bei den Veranstaltungen in den Jahren 2014 und 2016 (insgesamt fand der Gebärden-Slam drei Mal statt) hatte sie dann Helene Jarmer (Präsidentin des Österreichischen Gehörlosenbunds) und die Grüne Bildungswekstatt an ihrer Seite. (7)
Und wenn wir schon beim Slammen sind: Kennen Sie den legendären Dialekt Poetry-Slam Wos host gsogt? (8) Auch dieser von Günter „Tschif“ Windisch moderierte Slam im Tschocherl wurde von El Awadalla mit ins Leben gerufen – sie selbst trat etliche Male mit ihren U-Bahn-Dialogen und anderen Dialekttexten auf.
Ach ja. Und noch einen Slam gibt es, für den El Awadalla verantwortlich ist. Der Bus-Bim-Slam (9)fand von 2012 bis 2014 immer im Juni an diversen Verkehrsknotenpunkten in den 23 Wiener Gemeindebezirken statt und machte den Gehsteig zur Bühne. Gelesen wurde am 1. Juni im 1. Bezirk, am 2. Juni im 2. Bezirk, u.s.w. Die „Bühne“ stand für alle offen, die mitmachen wollten, geslammt werden durfte bis zum Eintreffen des nächsten Verkehrsmittels, danach war der*die nächste Poet*in dran.
Und dann gäbe es da noch dieLitera Tour: Ein Lesungs- und Musikabend, den die Ö.D.A. jedes Jahr gemeinsam mit der Straßenzeitung Augustin veranstaltet. (10) Auch diesen hat El Awadalla mitinitiiert.
Und …. nun, einige Dinge mehr würden uns schon noch einfallen, die es ohne ihr (Mit-)Tun nicht gäbe bzw. gegeben hätte. El Awadalla gehört eindeutig nicht zu den Menschen, die lange über Ideen sprechen, viel lieber schreitet sie entschlossen zur Tat.
Darum wussten wir auch , dass sie es ernst meinte, als sie 2016 als unabhängige linke Kandidatin Unterstützungserklärungen für die Bundespräsidentenwahl sammelte und den Österreichischen Wähler*innen mitteilte: „Ich möchte als Bundespräsidentin gern einen Poetry-Slam, eine Kellerlesung oder eine Ausstellung von Hobbymalern und Hobbymalerinnen eröffnen.“ (11) El Awadallas Video-Rede war übrigens im Dialekt. Leider fehlten am Ende 500 Unterstützungserklärungen (von 6.000 benötigten), um sich der Wahl stellen zu können.
Schert euch nicht um die Meinung der Leute, steht zu euren Ideen, zu euren Texten, zu eurer Sprache. Seid selbstbewusst, bleibt authentisch, nehmt euch kein Blatt vor den Mund und schaut kritisch auf diese Welt – das sind die Werte, die El Awadalla jungen Autor*innen (und vielen anderen Menschen) mit auf den Weg gibt. Sie selbst hat sich jedenfalls nie ein Blatt vor den Mund genommen. Nicht als Angestellte, nicht als ÖDA-Präsidentin, nicht als linke Politikerin und Aktivistin und schon gar nicht als handelnder Mensch. Während der sogenannten „Flüchtlingskrise“ im Jahr 2015 war sie eine der ersten, die sich ins Auto setzte und nach Ungarn fuhr, um Geflüchtete abzuholen.
El Awadalla – Die Schriftstellerin
Auch als Literatin lässt sich Awadalla – die schon auf vielen großen und kleinen Bühnen innerhalb und außerhalb Österreichs stand (unter anderem in Liechtenstein, der Schweiz, Südtirol und Ungarn) – nicht pressen. Nicht die Verkaufszahlen oder Slam-Platzierungen sind es, die sie interessieren, sondern der Blick auf die Randzonen unserer neoliberalen Gesellschaft. Vielleicht kommt das daher, dass sie als Burgenländerin schon sehr früh sehen musste, was selbst viele Erwachsene nur schwer aushalten: nämlich Grenzen, die mit Maschinenpistolen verteidigt werden. So etwas prägt.
Die Grenzen waren immer Dreh- und Angelpunkt Awadallas literarischer Auseinandersetzung und sie werden es auch bleiben. Nicht nur die geografischen, die willkürlich gezogen werden, sondern auch jene, die sich in den Städten und Dörfern zwischen den Menschen und auch im Menschen selbst auftun. (12) So sprachverspielt ihre Tiergedichte (13) auf den ersten Blick daherkommen, so lustig ihre U-Bahn- und Krankenhausdialoge (14) anmuten möchten, so humorvoll und liebevoll selbst ihre Geschichten „vom kommen und überleben“ (15) sind – Awadallas Texten liegt stets der schonungslose Blick auf unsere Gesellschaft zugrunde. Experimente, so ist die Autorin überzeugt, dürfen niemals dazu dienen, „vor lauter Wortspielerei an einem möglichen Inhalt elegant vorbeischauen (zu) können“.(1)
Awadalla ist eine grandiose Beobachterin – sie sieht und hört ganz genau hin. Das macht sie zu einer Art Seismograph unserer Gesellschaft. Ihre Prosa ist knapp und präzise formuliert, sie transportiert Inhalte und Sachverhalte. Die eigentliche Handlung spielt sich in den Leerräumen dazwischen ab – und natürlich in den Dialogen, die direkt aus dem Leben kommen und daher auch den Dialekt der Sprechenden authentisch abbilden.
Awadallas Literatur macht Spaß, sie rüttelt aber auch auf. Umso schöner, dass man das in der Jury des Leo Perutz Preises zu würdigen weiß – voriges Jahr schaffte es die als lustvoller Krimi verpackte, schonungslose Mileustudie „Zu viele Putzfrauen“ (16) auf die Shortlist. Schade, dass ausgerechnet nach Erscheinen dieses Buches im Frühjahr 2020 so viele Lesungen abgesagt werden mussten (und noch immer müssen).
Und wie schön wäre es jetzt, gemeinsam ein rauschendes Fest zu feiern und El Awadalla Danke sagen zu können. Danke für deinen Einsatz, Danke für deine Kraft und deinen Mut, den du nicht nur, aber auch während deiner zwölfjährigen Tätigkeit als Präsidentin immer aufgebracht hast, um die kritische Dialektliteratur abseits der großen Bühnen ins Rampenlicht zu rücken. Danke für deine langjährige ehrenamtliche Tätigkeit im Verein und ein großes Dankeschön für die engagierte Übergabe an den jetzigen Präsidenten Andreas Plammer, der in guter Tradition versuchen wird, die Ö.D.A. weiterhin durch stürmische Gewässer zu lenken und mit seinem Team für Offenheit und Solidarität einzustehen.
Liebe El,
Die Ö.D.A. ist stolz, dich als aktives Mitglied wissen zu dürfen, und wir alle hoffen, dass es noch viele gemeinsame Lesungen in der Zukunft geben wird.Und wenn es dann wieder möglich ist, feiern wir gemeinsam ein (den Corona-Maßnahmen entsprechendes) rauschendes Fest – mit Lesungen, Musik und hoffentlich wieder einigen möglichen Umarmungen.
(Text: Margarita Puntigam-Kinstner)
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El Awadalla
ist Redaktionsmitglied des Morgenschtean. Seit 1992 ist sie Vorstandsmitglied, von 2001 bis 2013 war sie Präsidentin der Ö.D.A. Geboren wurde sie am 31.3.1956 in Nickelsdorf / Burgenland, seit 1975 ist sie in Wien wohnhaft.
Letzte Veröffentlichungen:
Zuviel Putzfrauen, Milena 2020
gemeinsam mit Dhia Ali: good luck – good bye – vom kommen und überleben. ein tagebuch aus der willkommenskultur, sisyphus Verlag 2018
Seawas, bist a krank?, Milena 2014.
Seawas, Grüssi, Salamaleikum. Tiefe und tiefgründige Dialoge in der U-Bahn, Milena 2012.
Einige der vorgetragenen Texte erschienen 2004 in der Anthologie „…BIS SIE GEHEN – 4 Jahre Widerstandslesungen“, Hg. von El Awadalla und Traude Korosa im SISYPHUS-Verlag (>Link zum Buch)
El Awadalla im Gespräch mit Margarita Puntigam-Kinstner am 30.3.2021
SEAWAS, GRÜSSI, SALAMALEIKUM – Tiefe und tiefgründige Dialoge in der U-Bahn, Milena 2014 >> Link zum Buch | SEAWAS, BIST A KRANK? –Tiefe und tiefgründige Dialoge im Kankenhaus, Milena 2014 >> Link zum Buch
good luck – good bye – vom kommen und überleben. ein tagebuch aus der willkommenskultur (gemeinsam mit Dhia Ali), sisyphus Verlag 2018>> Link zum Buch
Warum Literatur? …weil die Welt des Wortes eine einzigartige Wirkkraft besitzt Brücken zu bauen. …weil Literatur unsere Kommunikation und Welt (ab)bildet. …weil Sprache Verbindungen schafft zwischen Utopie und Realität. …weil sie ein Fingerzeig sein kann und ein gesellschaftlicher Seismograph. …weil es mindestens tausend Gründe für sie gibt und mir kein Warum einfällt für eine Welt ohne Literatur (Ganz nach dem Motto „Keine Lyrik ist auch keine Lösung“ des Verlagshaus Berlin). Aber vielleicht antwortet mensch am besten auf diese Frage mit der schlichten Antwort: …weil Literatur kann und weil Literatur ist.
Warum Dialektliteratur? Sogenannte Dialektliteratur kann sich anfühlen, als würde die Sprache mit mehr Tiefe beschenkt, als würde eine Dimension zusätzlich geöffnet werden. Manchmal scheint es mir, als würden die Verse wortwurzelgestärkt innerlich an Leuchtkraft gewinnen. Ein Bonus fürs Lesen und Schreiben. Zudem, wer zieht die Grenzen zwischen Sprache und Dialekt? Mich hat die Aussage von Max Weinreich „Eine Sprache ist ein Dialekt mit einer Armee und einer Marine“ nachhaltig geprägt und Fragen hinterlassen. Wieso die Hierarchisierung, wieso die Gegenüberstellung oder gar der Ausschluss? Wieso nicht ein gemeinsames ineinander-Schreiben, von-einander-Lernen? Diese Fragen kommen auch in meinem derzeitigen Dialektprojekt zum Ausdruck.
Gibt es Vorbilder? Die Antwort hängt davon ab, wie mensch Vorbilder definieren mag. Mit Hero*innengeschichtsschreibung oder Held*innenbildung habe ich meine Probleme. Definiert mensch Vorbilder als Bilder von Wesen im Kopf, die einen/mich beeinflussen, dann gibt es unzählige Vorbilder. Von meiner Oma bis zu Selma Meerbaum-Eisinger, von H. C. Artmann bis zu meiner Lieblingshündin, von der lächelnden Frau gestern auf der Straße bis zu Mechthild von Magdeburg.
Was liest du gerade? Das ist eine der schwersten Fragen (;-)), genauso gut könnte mensch fragen, wie viele Sandkörner spürst du unter deinen Füßen am Meer. Ich kann hier nur eine Auswahl wiedergeben: Eine Auswahl, die momentan auf meinen Tischen liegt: – Max Sessner: Das Wasser von gestern, Edition Azur 2021. – Barbara Hundegger: schreibennichtschreiben, Skarabäus Verlag 2009. – Tamer Düzyol & Taudy Pathamanathan (Hg.): haymatlos, edition assemblage 2018.
An welches Ereignis denkst du besonders gerne zurück? Aus meiner jüngsten Vergangenheit: An meine zwei letzten Lesungen mit realem Publikum. Mir fehlen nämlich momentan die aufmerksamen Augen, in die mensch blicken darf! Online-Lesungen kommen – bei allen Vorteilen und erhebenden Momenten – manchmal doch einer Pizzalieferung gleich: Du stellst dein Produkt vor eine verschlossene Tür und hoffst, dass es schmeckt. Aus meiner älteren Vergangenheit würde ich als erinnerungsträchtiger Mensch nicht fertig werden mit Aufzählungen.
Woran arbeitest du derzeit? Auch hier ist es nur eine Auswahl meines Arbeitsstapels am Schreibtisch (ich bin eine klassische Parallelarbeiterin): Ich arbeite an meinem ersten eigenständigen Gedichtband mit dem Arbeitstitel „azur ton nähe“. Auch liegen die Vorbereitungen für die Lyrik-Schreibwerkstatt, die am Institut für narrative Sprachkunst stattfinden wird, auf meinem Schreibtisch. (Mehr Informationen unter: https://www.ink-noe.net/?SEITE=Sommersemester&pid=11196901905fd8bc66a9004) Zudem entsteht ein oben erwähnter Dialektzyklus und ein interaktiver Gedichtzyklus „angsträume“, der in einer Ausstellung im April gezeigt wird und Mitte März online mitnachvollziehbar sein wird (https://angstwirdpoesie.wordpress.com).